„Ich habe gewusst, dass Kasparow
zurückkehrt“
Interview mit Exweltmeister Wladimir Kramnik
Von Dagobert Kohlmeyer
Foto: Juri Wassilev
Der
russische Schachstar hat das Chess-Meeting in Dortmund souverän vor dem
Ungarn Peter Leko und dem Norweger Magnus Carlsen gewonnen. Dagobert
Kohlmeyer sprach nach dem Turnier mit dem 34-jährigen Seriensieger.
Es war schon Ihr neunter
Erfolg im Revier! Was sagen Sie selbst dazu?
Ich bin
sehr glücklich und mit meinem Spiel zufrieden. Obwohl ich sehr lange kein
klassisches Schach mehr gespielt habe, lief es diesmal wieder erstaunlich
gut.
Ist diese Leistung noch
zu toppen?
Warum
nicht? Ich möchte versuchen, bis zum Ende meiner Karriere zehn Siege bei
meinem Lieblingsturnier zu erreichen. Das ist eine runde Zahl, und dieser
Gedanke beschäftigt mich deshalb schon länger.
Eine rote Neun von der Sparkasse für den Sieger
Sie haben schon jetzt
Kasparows Rekordmarke übertroffen, der im Schach-Wimbledon Linares achtmal
gewann.
Ja, es
ist schon eine denkwürdige Sache. Ich freue mich auch darüber, dass ich
dieses Mal schönes Angriffsschach gezeigt habe.
Man merkte Ihnen die
Freude am Kombinieren förmlich an.
Es hat
mir Spaß gemacht. Alle Gewinnpartien in Dortmund habe ich durch taktische
Schläge entschieden. Sonst ist mein Stil ja eher strategisch angelegt, doch
diesmal ergab sich kurioserweise mehrmals die Gelegenheit zum direkten
Mattangriff.
Gespräch mit Sparkassen-Chef Uwe Samulewicz
Welches Ihrer Spiele in
Dortmund möchten Sie vielleicht besonders hervorheben?
Um dies
zu beantworten, müsste man alle Partien nochmal genau analysieren. Dazu
hatte ich bisher noch nicht genug Zeit. Eigentlich mag ich alle drei
Gewinnpartien. Sie waren wohl auch deshalb für das Publikum sehr
interessant, weil meine Spielweise sonst anders ist.
Dieses Angriffsschach mit
Opfern sieht man in der Tat seltener bei Ihnen.
Das
stimmt, aber ich hatte solche Partien auch schon im Frühjahr beim Amber
Turnier und beim Match der Weltauswahl gegen Aserbaidschan in Baku. Wie es
zu dieser „Änderung“ meines Schachstils kam, kann ich mir selbst nicht ganz
erklären. Ich spielte so wie in jüngeren Jahren und riskierte auch mehr. Mit
der Qualität meines Spiels war ich sehr zufrieden.
Haben Sie das Turmopfer
auf d7 in der Schlussrunde gegen Arkadij Naiditsch am Brett gefunden?
Ja. Es
war keine häusliche Analyse. Ich sah, dass ich Übergewicht habe und leicht
das Remis forcieren konnte. Doch war ich der Meinung, dass es sich in dieser
Stellung auf jeden Fall lohnte, auf Gewinn zu spielen.
Der erste Zug des Turniers
Waren Sie vor Dortmund
hungrig auf Schach?
Das kann
man wohl sagen. Es war zu Beginn jedoch nicht einfach für mich, ins Spiel zu
finden, weil ich seit Oktober keine Partie mehr mit klassischer Bedenkzeit
bestritten habe. Nachdem ich mich eingespielt hatte, lief es aber sehr gut
bei mir.
Kramnik gibt ein Autogramm
Schmerzt Ihre
WM-Niederlage gegen Vishy Anand in Bonn noch sehr?
Nein, ich
habe sie fast vergessen. In letzter Zeit konzentriere ich mich mehr auf mein
Familienleben. Im Dezember wurde meine Tochter Daria in Paris geboren. Das
war viel wichtiger für mich als jeder Weltmeistertitel.
Greifen Sie trotzdem
nochmal nach der Schachkrone?
Das habe
ich mir fest vorgenommen. Dortmund war ein guter Schritt auf dem Weg
dorthin. Ich habe ca. 12 ELO-Punkte gewonnen und einige Plätze in der
Weltrangliste gut gemacht. Wichtig ist, ins nächste WM-Kandidatenturnier zu
kommen, auch wenn der Weltschachbund FIDE dort einige Hürden aufgebaut hat.
Die Gespräche zwischen
der FIDE und dem deutschen Schach-Veranstalter UEP über weitere Turniere und
Matches im nächsten WM-Zyklus sind ergebnislos verlaufen. Ihr Kommentar
dazu?
Ich finde
das sehr schade, denn die Organisation in Bonn war auf einem sehr hohen
Niveau. Das ist auch Anands Meinung. Deshalb verstehe ich nicht, dass der
internationale Schachverband mit einem so verlässlichen und seriösen
Veranstalter nicht weiter arbeitet.
Was sagen Sie zum
geplanten Revival-Match zwischen den beiden Schachikonen Karpow und Kasparow
in Spanien?
Ich
denke, dass es vor allem interessant für die Schachfans sein wird. Für mich
selbst hat das Match meiner russischen Landsleute weniger Bedeutung. Sie
spielen nicht mit klassischer Bedenkzeit wie damals. Schnellschach und
Blitzpartien sind doch mehr eine Show.
Sie haben Garri Kasparow
einst vom Thron gestürzt. Vor über vier Jahren verließ er die Turnierarena.
Hat es Sie überrascht, dass er jetzt als Schachspieler zurückkehrt?
Nein,
keinesfalls. Ich war immer überzeugt, dass er es eines Tages tun wird. Aber
ich dachte eher, es gibt dann ein bedeutendes Match, in dem es um mehr geht
als nur um Nostalgie. Das geplante Duell Kasparow-Karpow hat meiner Meinung
nach nicht so ein Gewicht.
Immerhin, der Schachzar
und sein ewiger Rivale spielen wieder, auch wenn ihr Match mehr
Erinnerungs-Charakter hat.
Das ist
schon interessant für die Leute, keine Frage. Ich selbst finde es eher
lustig. Wahrscheinlich erhalten Karpow und Kasparow in Valencia ein fettes
Honorar dafür, ich weiß es nicht.
Kasparows Ausflug in die
Politik war, wie wir wissen, alles andere als erfolgreich. Vielleicht hat er
sich deshalb wieder auf seine alte Domäne, das Schachspiel, besonnen?
Na ja.
Ich sehe darin mehr einen Trick oder PR-Gag. Wir kennen es doch aus anderen
Sportarten, wo zum Beispiel berühmte Boxer, Tennisspieler oder Radfahrer ein
Comeback gestartet haben. Sie beendeten ihre Karriere auf dem Höhepunkt vor
allem deshalb, damit sie später noch größere Aufmerksamkeit bekommen, wenn
sie zurückkehren.