Einladung zur Schachausstellung: Gerhard Jostens
Schach auf Ölgemälden
Von Johannes Fischer
Wer sich für Schach begeistert, riskiert einiges. Er
verbringt Stunden in engen Hinterzimmern von Kneipen und Restaurants oder
auf unbequemen Stühlen in Sporthallen und Gemeinderäumen oder drückt noch
einmal die Schulbank. Im Sommer liegt er nicht am Strand, sondern sitzt
zusammen mit anderen Schachspielern in heißen Turniersälen. Alle schwitzen,
aber nicht jeder glaubt an Dusche oder Hemdenwechsel.
Wer dem Schach verfallen ist, liest außerdem gern
schlechte Romane und sieht Filme, in denen die Schachspieler verrückt, aber
harmlos sind oder die Mentalität und kriminelle Energie eines Hannibal
Lecter aus dem Schweigen der Lämmer haben.
Natürlich lohnt die Mühe. Eine schöne Partie wiegt all
dies mehr auf und wenn Schach in Literatur Film oder Kunst auch manchmal
misslungen dargestellt ist: Was soll’s? Schließlich ist es immer noch Schach
und außerdem kann man sich wunderbar darüber aufregen. Umso schöner
allerdings, wenn Schach in Büchern, Filmen oder Kunst treffend dargestellt
ist. Deshalb gebührt Schachsammlern auch Respekt. Sie scheuen weder Aufwand
noch Kosten, um alles, was nur entfernt mit dem Spiel zu tun hat,
aufzuspüren, aufzulisten und zu sammeln: Schwarz-weiß karierte Socken,
Tassen, Teller und Uhren, Schachspiele und Schachbücher sowieso. Im
Idealfall teilen sie ihre Entdeckungen mit anderen Schachspielern.
Gerhard Josten ist ein solcher Sammler und er hat sich
die Mühe gemacht, in Museen, Bibliotheken und im Internet nach Ölbildern zu
suchen, in denen Schach ein zentrales Motiv ist. Seine Ergebnisse
präsentiert er in einem Buch mit dem Titel Schach auf Ölgemälden,
ein, wenn man so will, Katalog einer virtuellen Ölgemäldeausstellung zum
Thema Schach. Das Buch präsentiert einhundert ausgewählte Ölgemälde, die
nach den Geburtsjahren ihrer Maler chronologisch geordnet sind. Das erste
Bild „stammt vermutlich aus dem Jahr 1508“, und zeigt „die erste
zweifelsfreie Darstellung eines europäischen Schachspiels auf einem
Ölgemälde. Es ist das Courierspiel mit 8x12 Feldern, das erstmals in einer
Handschrift aus dem Jahre 1202 erwähnt wurde. Gustavus Selenus hat es 1616
in seinem Buch Das Schach – oder Königsspiel genauer beschrieben“.
Die Sammlung schließt mit einem Bild des 1934 in
Italien geborenen Malers Riccardo Tommasi Ferroni.
Jedes Bild in dem Band ist mit kurzen Erklärungen über
Motive, mögliche Bedeutung und einer knappen Charakteristik des jeweiligen
Malers versehen. Diese Erklärungen stammen von der Kunsthistorikerin Dr.
Eva-Christine Raschke und ihr gelingt es, mit wenig Worten viel zu sagen. So
schreibt sie über Ferroni und sein Bild:
„Sein Werk beinhaltet sowohl surrealistische als auch
avantgardistische Elemente. Die fragile Balance zwischen Vergangenheit und
Gegenwart, zwischen Tragik und Komik, zwischen religiösem Totenkult und
blasphemischem Spott verleihen diesem Künstler seine einzigartige Qualität.
Im vorliegenden Bild sind Vanitas-Symbole im Vordergrund als Stillleben
arrangiert im Hintergrund blickt eine weibliche Totenmaske auf die Szene
herab. … Völlig unklar bleibt die Rolle der Staffelei am linken Bildrand,
auf die die Aufmerksamkeit der Männer derartig gelenkt wird, dass der rechte
Schachspieler vor Schreck seine Spielfigur verliert. Damit verbindet Ferroni
Gegenwärtiges und Vergangenes, Banales und Bedeutendes auf eine ironische
Art und Weise.“
Unprätentiös präsentieren Josten und Raschke eine Fülle
an schach- und kunsthistorischen Informationen und zeigen so, wie sich die
Darstellung des Schachs im Laufe der Jahrhunderte geändert hat. Einhundert
faszinierende Bilder mit Schachmotiven, ein Kursus in Kunst- und
Schachgeschichte – was will man mehr? Doch wem das nicht genügt, dem hilft
der zweite, kleinere Teil des Buches. Hier listet Josten auf, welche Maler
sich in ihrem Werk noch auf Schach bezogen haben. Für Sammler eine
unschätzbare Hilfe, wobei diese Liste auch ahnen lässt, wie viel Arbeit
Josten in dieses Buch gesteckt hat.
Da ein Bild bekanntlich mehr als hundert Worte sagt,
folgt hier ein kleiner Rundgang durch die Galerie:
Ein Bild des Amerikaners Frederik Arthur Bridgman (1847-1928), der, so
Raschke „zu seiner Zeit recht bekannt für seine Landschaftsbilder und
Historiengemälde“ war. „Vor allem mit seinen infolge einer Spanien- und
Nordafrika-Reise entstandenen orientalischen Bildern traf er den Geschmack
des gründerzeitlichen Publikums.“
Trotz dieser Erfahrungen des Malers fällt es schwer,
hier an eine realistische Szene zu glauben. Allerdings zeigt dieses Bild,
wie übrigens viele Bilder in dem Band, wie sich Frauen und Männer am
Schachbrett begegnen. Doch die Schachspieler, die angesichts des im Schach
untypischen Verhältnisses von Frauen zu Männern – ein Mann, vier Frauen –
ins Träumen geraten und sich orientalische Sitten wünschen, werden
enttäuscht. Raschke meint, bei dem „bärtigen Mann im roten Kaftan“ handele
es sich „wahrscheinlich … um einen Eunuchen als Wächter des Harems.“
Dieses Bild des französischen Malers Charles Bargue
stammt aus dem Jahre 1880 und trägt den schlichten Titel „Die
Schachspieler“. Auch heute sieht man im Park noch oft, wie sich die Leute
beim Schach die Zeit vertreiben. Zwar sitzen sie nicht mehr auf Steinbänken,
sondern an Tischen und haben eine Uhr neben sich stehen, aber Handbewegungen
und Körperhaltungen haben das 20. Jahrhundert gut überstanden. Allerdings
ist der Durchschnittsparkspieler von heute selten so gut gekleidet wie die
beiden jungen Herren auf dem Bild.
Charles Bargue, so erfahren wir im Begleittext, hat nur
wenige Ölbilder gemalt. „Bekannt … heute allerdings fast vergessen, wurde
der Künstler durch sein zusammen mit Jean-Léon Gérôme herausgegebenen ‚Drawing
Course’ …. Selbst Pablo Picasso und Vincent van Gogh haben nach Bargues
Vorgaben das Zeichnen gelernt.“
Ein Bild des französischen Malers und Karikaturisten
Honoré Daumier (1808-1879), der auf einer Reihe von Bildern Personen
porträtiert hat, „die in ein Metier versunken sind, das ihnen zur
Liebhaberei geworden ist“. Die Schachspieler auf diesem Bild sind so
typisch, dass man meinen könnte, man hätte sie schon einmal im Schachklub
oder bei einem Wettkampf gesehen.
Dieses „Porträt von Schachspielern“ stammt aus dem
Jahre 1911. Gemalt hat es Marcel Duchamps (1887-1968), der beste Spieler
aller im Band vertretenen Maler: Er war einer der stärksten Spieler
Frankreichs und Mitglied der Nationalmannschaft. Als Schachspieler war
Duchamps ein Verehrer Capablancas und pflegte einen nüchternen
Positionsstil. Von dieser nüchternen Sicht auf die Dinge ist in diesem Bild
jedoch nicht viel geblieben.
„Lady Howe setzt Benjamin Franklin matt“ von Charles
Xavier Harris (1856-?) zeigt wieder eine Begegnung von Mann und Frau am
Schachbrett und enthält ironische Anspielungen. Franklin ist links im Bild
abgebildet, und wenn der Titel es nicht verraten würde, so könnte man anhand
seines nach vorne geneigten Oberkörpers und seines besorgten
Gesichtsausdrucks erraten, dass Franklin sich in dieser Partie nicht auf der
Siegerstraße befindet.
Das ist ungewöhnlich für den Erfolgsmenschen Franklin:
Er sprach mehrere Sprachen, erfand den Blitzableiter, wurde als Drucker und
Zeitungsredakteur reich, sorgte als Politiker für Reformen im amerikanischen
Bildungs- und Transportwesen und schaffte es, als amerikanischer Diplomat
die Franzosen für die amerikanische Unabhängigkeit zu gewinnen. Außerdem war
er leidenschaftlicher Schachspieler. Seine „Morals of Chess“, in denen
Franklin nachzuweisen versucht, wie nützlich das Schach für das Leben ist,
war der erste Schachartikel, der je in Amerika erschien. Bei all seinen
Aktivitäten hatte Franklin doch noch Zeit, seine Schwäche fürs andere
Geschlecht auszuleben, wobei er vor allem älteren Frauen zugetan war.
Doch auf dem Bild triumphiert in der geistigen
Auseinadersetzung die junge Frau gegen den älteren Mann, was man als
ironischen politischen Kommentar verstehen könnte: Denn als amerikanischer
Gesandter setzte sich Franklin in England für die amerikanische
Unabhängigkeit ein und seine Gegnerin ist Lady Howe, Schwester von William
und Richard Howe, zwei englischen Politikern, die maßgeblich am Kampf gegen
die nach Unabhängigkeit strebenden Amerikaner beteiligt waren. So unterlag
Familie Howe zwar im wirklichen Leben, aber gewann am Schachbrett.
Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938): „Erich Heckel und
Otto Müller beim Schach“, 1913. Wenn dieses Bild die „Wahrheit“ sagt, dann
waren Erich Heckel und Otto Müller leidenschaftliche Schachspieler –
immerhin konzentrieren sie sich so sehr auf das Schach, dass sie die sich
lasziv im Hintergrund räkelnde Dame ignorieren. Kirchner, Heckel und Müller
gehörten zur Berliner Künstlergruppe „Die Brücke“, die wegweisende Bedeutung
für die moderne deutsche Malerei hatte. Allerdings löste sich diese
Vereinigung von Künstlern kurz nach der Entstehung dieses Bildes auf.
Vielleicht haben die Maler zu viel Schach gespielt?
Ein Bild des finnischen Malers Antti Favén (1882-1948),
auf dem berühmte Schachspieler verewigt sind. So weist der Herr links hinten
frappierende Ähnlichkeit mit Dr. Siegbert Tarrasch auf, während man dem
jungen Mann rechts hinten mit Phantasie Ähnlichkeit mit Emanuel Lasker
bescheinigen könnte.
Dieses Bild stammt von dem irischen Maler John Lavery
(1856-1941). Schach dient hier zur Illustration eines sorglosen bürgerlichen
Lebensstils, doch für den Schachpsychologen dürfte vor allem die
Körpersprache der beiden Spielerinnen interessant sein. Raschke und Josten
schreiben: „Schwarz befindet sich in großer Bedrängnis und wird bald
mattgesetzt sein. Diese Situation findet sich auch in den Positionen der
beiden Mädchen wieder. Die angezogenen Beine der scheinbar Jüngeren stehen
im Kontrast zu den lässig ausgestreckten ihrer Schwester. Diese hat die
Lektüre ihres Buches nur gerade unterbrochen, um eine Partie Schach zu
spielen.“
Schach pur porträtiert der englische Maler Anthony Rosenbaum (gestorben
1888) auf diesem Gemälde, dessen Original 8,13x1,524 m groß ist. Zu sehen
sind u.a. Johannes Hermann Zukertort, Henry Edward Bird, Joseph Blackburne,
Bernhard Horwitz, Johann Löwenthal, George McDonnell, James Mason, Anthony
Rosenbaum, Wilhelm Steinitz und George Walker. Als Bilder im Bild abgebildet
und auf dieser verkleinerten Darstellung nur schwer zu erkennen, sind im
Hintergrund Paul Morphy und Adolph Anderssen. Josten vermutet, „dass für das
Gemälde entweder das Turnier in London 1862 oder das Turnier in Paris 1867
Pate stand“.
Erneut ein Beispiel für Schach im Familienkreise,
dieses Mal wird im Hause des französischen Malers Henri Matisse (1869-1954)
gespielt. Schach taucht bei Matisse in etlichen Bildern auf, weshalb man
sich fragt, warum das Schachbrett hier unrealistisch abgebildet ist. Das
Brett scheint elf Felder zu haben und wirkt es so, als sei rechte Eckfeld
schwarz und das Brett mithin falsch aufgebaut – in Film, Fernsehen und auch
der Malerei bekanntlich der Lackmustest, ob sich Künstler oder Regisseur
halbwegs ernsthaft mit Schach beschäftigt haben.
Bei diesem Gemälde von William J. Moore (1817-1909) ist
schachlich alles in Ordnung. Das rechte Eckfeld ist offensichtlich weiß und
auch die Stellung auf dem Brett ist sinnvoll – wie der mit Schwarz spielende
Geistliche betrübt zur Kenntnis nehmen muss – denn er steht kurz davor, von
dem jungen Mädchen matt gesetzt zu werden.
In diesem Bild sieht man Schach neben Rauchen,
Zeitungslesen, Kaffee trinken als Teil eines genießerischen Bohemelebens
dargestellt. Wie realistisch das ist, mag jeder anhand seines eigenen
Lebenswandels entscheiden. Maximilian Oppenheim, der Maler dieses Bildes,
kannte sich in der Schachszene jedoch aus und hat unter dem Namen „Mopp“
etliche Porträts von Emanuel Lasker angefertigt. Mit Laskers Namensvetter
Edward Lasker veröffentlichte Oppenheimer das Buch „Chess for Fun and Chess
for Blood“. Lasker sorgte für den Text, Oppenheimer für die Illustrationen.
So weit ein kleiner Ausschnitt der virtuellen
Ausstellung. Wer mehr möchte:
Gerhard Josten, Schach auf Ölgemälden
Book on Demand, 2006
ISBN 3-8334-5013-4
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