Wie Junior Turin eroberte
Von Shay Bushinsky
Der Beginn dieses
Jahrtausends fiel zusammen mit einem wilden Wettlauf zwischen zwei der besten
Schach-Engines der Welt: Shredder
und Deep Junior. Bei der
Computerschachweltmeisterschaft 2000 in London gewann Shredder. Dann folgten
zwei Siege in Folge von Deep Junior: 2001 und 2002 (beide in Maastricht), wonach
Shredder die Krone 2003 zurück eroberte (in Graz). Deep Junior schlug zurück und
gewann den Titel 2004, als er Heimspiel hatte (in Ramat-Gan).
Shay Bushinsky vom Deep Junior Team
Der Kampf um den Titel des
Computerschachweltmeisters wurde so als Privatsache zwischen dem präzisen und
soliden Shredder und dem waghalsigeren und kreativen Deep Junior dargestellt.
Doch die Weltmeisterschaft 2005 in Reykjavik änderte das gründlich. Aus heiterem
Himmel tauchten zwei unbekannte Programme auf –
Zappa und
Fruit –, die den ersten und zweiten Preis gewannen.
Das Computerschach
profitierte vom Auftauchen beider Programme, aber besonders von Fruit, da sein
Autor beschloss, das Programm als Open Source zu veröffentlichen. Als Folge
davon tauchte eine Flut von neuen, sehr starken Programmen in der
Computerschachszene auf. Eins davon, Rybka,
fiel jedem ins Auge, da es extrem starkes Schach zeigte.
Vas Rajlich, der Autor von Rybka (das in
Turin als "Rajlich" spielte)
Die
Computerschachweltmeisterschaft 2006 sollte in Turin, Italien, stattfinden. Zum
ersten Mal wurde das Turnier in Verbindung mit der Schacholympiade ausgetragen.
Dem verantwortlichen Organisator, Prof. Paolo Ciancarini von der Universität
Bologna, gelang es, die weltbesten Schachspieler und die besten Maschinen
zusammen zu bringen und das bot die einzigartige Gelegenheit, beide in Aktion zu
sehen.
Die Computerschachweltmeisterschaft in Turin
Die ziemlich kurze Zeit
zwischen den Weltmeisterschaften von 2005 (die im August 2005 stattfanden) und
dem Turnier in Turin (im Mai 2006) machten unsere Vorbereitungen sehr viel
schwieriger. Nach dem Turnier in Reykjavik erkannten wir, dass grundlegende
Änderungen in Deep Juniors Code notwendig waren, unter anderem bei seinem
Suchalgorithmus und bei seiner Bewertungsfunktion. Doch die neuen Engines, die
uns jeden Monat einen neuen und stärkeren Gegner bescherten, schienen unsere
Anstrengungen zunichte zu machen. Das Testverfahren für den neuen Deep Junior
war ebenfalls ein Problem. Während die neuesten Shredder-Versionen unseren
Vergleichsrahmen zu bilden schienen, mussten wir noch sehr viel mehr Programme
gegen Deep Junior antreten lassen. Die Kommerzialisierung von Rybka brachte
häufig neue und starke Versionen hervor. Das Programm schien eine große
Anhängerschar von Testern und Eröffnungsbuchautoren zu haben.
Dennoch, obwohl es damals so
aussah, als ob sich keine neuen Suchtechniken in Deep Junior einpflanzen ließen,
funktionierten manche schließlich. Der neue Deep Junior war beinahe 100 Punkte
besser als unsere Siegerversion von 2004, was mit Sicherheit einen bedeutenden
Sprung darstellt. Ähnliche Berichte kamen von Shredder, der seine neue Version
nur eine Woche vor der Meisterschaft präsentierte. Von Rybka wurde bereits
berichtet, dass es Kasparovs Elo-Rekord von 2850 Punkten mit eigenen, neuen und
innovativen Suchtechniken gebrochen hätte.
Das Siegerteam in Turin in Aktion: Amir Ban
(links) und Shay Bushinsky (rechts)
Ein andere Faktor war die
Maschine, auf der Deep Junior laufen würde. Dieses Mal bot uns Intel an, ihre
neue Woodcrest auszuprobieren, eine Dual-Duo-Core Maschine (mit insgesamt vier
Cores). Diese Maschine war noch nicht auf den Markt gebracht worden und wir
hatten nur wenig Zeit, um den Code daran anzupassen. Unsere ersten Tests ergaben
befriedigende Resultate und nach der Optimierung des Deep Junior Codes kamen wir
auf bis zu 9,3 Millionen Nodes pro Sekunde, was 33% schneller war als die
Plattform, die wir in Reykjavik verwendet hatten.
Aber dann tauchte die
Nachricht auf, dass der Champion von 2005, Zappa, 512 Prozessoren auf dem NCSA
Supercomputer nutzen würde. Der Nettogewinn für Zappa war eine Spitze von 100
Millionen Nodes pro Sekunde und sein Autor berichtete von einer 3-4 Ply tieferen
Suche als beim Zappa von 2005, was bedrohlich klang.
Unter solchen Umständen
kamen wir mit geringen Erwartungen nach Turin. Bei vorhergehenden
Meisterschaften hatte sich Deep Junior den zweifelhaften Ruf erworben, in der
Eröffnungsrunde Punkte gegen schwache Gegner abzugeben. Aber diesmal begann er
stark und ihm gelangen in den ersten zwei Wettkampftagen drei Siege aus drei
Partien, was ein sehr gutes Zeichen war, dass diese Version gut lief.
Eine Schlüsselpartie zwischen Rajlich (Rybka)
und Shredder
Dieses Mal war es Zappa, der
in der ersten Runde überraschend einen halben Punkt gegen Jonny abgab Aber
Shredder demonstrierte, dass er wirklich Fortschritte gemacht hatte, indem er
Rybka in der dritten Runde ziemlich bequem schlug. Das hieß, dass wir und
Shredder vor der vierten Runde die einzigen Programme waren, die noch 100%
hatten und wir in der nächsten Runde aufeinander treffen würden.
Die Schlüsselpartie mit
Shredder war natürlich aufregend. Beide Programme hatten bereits einige Male
gegeneinander gespielt und immer führte das zu Feuer auf dem Brett. In einer
sehr scharfen sizilianischen Stellung beging Shredder einen kleinen Fehler, der
Deep Junior einen entfernten Freibauern und allem Anschein nach ernsthafte
Gewinnaussichten gab. Shredder, bekannt für seine hartnäckige Verteidigung,
gelang es Deep Junior zu zähmen und die Partie endete Remis, was beide Programme
die Führung behalten ließ. Und doch war Shredder der Glücklichere, denn er hatte
bereits gegen Rybka gespielt und wir nicht, weshalb Shredder eine bessere
Ausgangslage besaß, den Titel zu gewinnen.
Amir Ban und Shay Bushinsky während der
Schlüsselpartie Deep Junior vs. Shredder
In Runde 5 änderte sich
nicht viel. Shredder vergrößerte seinen Vorteil noch etwas durch ein Remis mit
Zappa, während wir mit Diep in einer Partie Remis machten, die wir normalerweise
hätten gewinnen sollen.
In Runde 6 spielten wir eine
Schlüsselpartie mit Rybka, die Remis endete. Aber die gute Nachricht war, dass
Jonny gegen Shredder Remis halten konnte, so dass wir immer noch den ersten
Platz teilten. Rybka und Zappa, die nur einen halben Punkt hinter uns lagen,
waren uns beide dicht auf den Fersen.
In Runde 7 stand uns Zappa
in einer weiteren kritischen Partie gegenüber. Zappa musste gewinnen. Sonst
würde das Programm zurückfallen, da sowohl Shredder als auch Junior die starke
Gegnerschaft überholten. Nach einer schlechten Eröffnung mit den schwarzen
Steinen fand sich Deep Junior das erste Mal während des Turniers in einer
wirklich schlechten Stellung, in der er einen Bauern weniger ohne wirkliche
Kompensation hatte. Gerade als es so aussah, als ob Zappa die Führung übernehmen
würde, spielte Deep Junior einen kühnen Zug, der seinen gewaltigen Gegner dazu
provozierte, Material zu nehmen. Schon bald fand sich Zappa in einer schwierigen
Lage wieder, in der er gezwungen war, das Remis zu forcieren, um nicht von Deep
Junior Matt gesetzt zu werden.
Die schlechte Nachricht war,
dass Shredder durch seinen Sieg gegen Diep alleiniger Spitzenreiter wurde. Bei
noch vier ausstehenden Runden sah es so aus, als ob Shredder nicht aufzuhalten
wäre, da keine bedrohlichen Gegner mehr nachgeblieben waren. Wir mussten gegen
Jonny gewinnen, der zuvor gegen alle Top-Programme Remis halten konnte. Deep
Junior gelang eine ausgezeichnete Positionspartie und überspielte seinen starken
Gegner. Dieses Mal war es Shredders Nemesis, Spike, dem es gelang, dem
Tabellenführer einen halben Punkt zu entreißen.
Stefan Meyer-Kahlen, der Autor von Shredder
So lagen wir nach 8 Runden
gleichauf mit Shredder und es roch nach einem Play-off. Die Turnierregeln legten
fest, dass ein Play-off Wettkampf über zwei Partien gespielt werden mussten, um
den Sieger zu ermitteln, wenn zwei Programme am Ende die gleiche Zahl von
Punkten haben sollten. Wir mussten gegen Shredder bereits in Maastricht 2002 ins
Play-off und behielten dort die Oberhand. Trotzdem wollte jeder die Play-offs
vermeiden, da sie Zeit kosten würden, die man auf der Abschlussfeier und beim
Abendessen nebst Preisverleihung verbringen könnte.
Runde 9 änderte nicht viel,
da sowohl Shredder als auch Deep Junior gewannen. Für uns bedeutete dieser Sieg
eine süße Rache an Crafty, der uns in Reykjavik schlagen konnte. Aber die
wirkliche Überraschung ereignete sich in Runde 10, als Shredder “leichtes” Spiel
gegen ParSOS hatte, sein Landsmann-Programm. Nach einer schlechten Eröffnung gab
Shredder ein weiteres Remis ab. Das erste Mal waren wir alleiniger
Tabellenführer und befanden uns in einer guten Ausgangslage, um das Turnier zu
gewinnen – vorausgesetzt wir würden in der letzten Runde gewinnen.
Runde 11 brachte Deep Junior
den letzten starken Gegner – IsiChess. Das Programm konnte Deep Junior 2004
bereits ein Remis abtrotzen. Deshalb hofften alle anderen Titelanwärter, dass
sich die Geschichte mit Hilfe der weißen Steine wiederholen würde.
In einer nervenaufreibenden
Partie sah IsiChess gut aus und konnte ein Großteil der Feuerkraft von Deep
Junior abtauschen. Es kam zu einer Stellung, in der Deep Junior einen
Zentrumsfreibauern zum Brettrand vorstieß. Aber der Bauer wurde durch die Türme
von IsiChess blockiert und man musste sehen, wie Deep Junior seine Stellung
weiter verstärken konnte. Deep Junior fand den richtigen Plan, nämlich zu
versuchen, mit seinem König einzudringen, um den Freibauern zu unterstützen, was
IsiChess zu einem Fehler provozierte, der Deep Junior einen zweiten Freibauern
brachte. Freibauern sind berüchtigt dafür, schwer zu bewerten zu sein, da sie
nur sehr langsam nach vorne gehen und sich nur nach einer sehr tiefen Suche als
wirkungsvoll erweisen. Deep Junior gewann die Partie und wurde so der 14.
Computerschachweltmeister!
Eine Reihe von berühmten Großmeistern kamen
vorbei, um in Turin gegen Deep Junior zu spielen. Hier testet GM Ljubomir
Ljubojevic (berühmt aus den Zeiten Bobby Fischers) Deep Junior in einem
Blitz-Match. Rechts neben mir sitzt Prof. Jaap Van der Herik, der Leiter der
Computerschachweltmeisterschaft. Neben ihm der holländische Schachenthusiast und
Philanthrop Joop van Oosterom sowie der holländische Großmeister Jeoroen Piket.
Natürlich waren Amir und ich
beide glücklich über Deep Juniors Leistung. Er bestätigte nicht nur seinen Ruf,
indem er in jeder Partie Material für Initiative opferte und vielleicht das
unterhaltsamste Schach spielte, sondern seine Bewertungen während der Partien
erwiesen sich auch als sehr stabil und richtig. Manche Partien enthielten
kreative Elemente, was die Programmierer immer freut.
Schlusstabelle
Rang |
Name |
Rating |
Punkte |
Buchh. |
1 |
Junior |
2800 |
9 |
70.5 |
2-3 |
Shredder |
2810 |
8.5 |
68.5 |
|
Rajlich |
2820 |
8.5 |
62.5 |
4 |
Zappa |
2830 |
7.5 |
73.0 |
5-7 |
Spike |
2760 |
6.5 |
64.0 |
|
DIEP |
2680 |
6.5 |
62.5 |
|
Jonny |
2650 |
6.5 |
62.5 |
8-9 |
Crafty |
2700 |
6 |
73.0 |
|
Ikarus |
2660 |
6 |
58.0 |
10-11 |
IsiChess |
2500 |
5.5 |
60.5 |
|
Delfi 4.6 |
2450 |
5.5 |
59.5 |
12-13 |
Chiron |
2400 |
5 |
59.5 |
|
ParSos |
2620 |
5 |
53.5 |
14 |
Uragano3d |
2100 |
3.5 |
54.0 |
15 |
Chaturanga |
1900 |
2.5 |
53.0 |
16 |
LION++ 1.5 |
2670 |
2 |
28.5 |
17 |
FIBChess |
2000 |
1.5 |
55.0 |
18 |
ETABETA |
1440 |
0.5 |
56.0 |
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