Vier Fäuste für ein Matt
Berlin
- Er hat schon mal einen Baum regnen lassen, sechs Wochen lang am
Hackeschen Markt in Berlin. Jetzt lässt der Künstler IEPE B.T. Rubingh Fäuste
regnen, und das ausgerechnet während der normalerweise stillen Dramen einer
Schachpartie. Der Einsatz roher körperlicher Gewalt, in der Regel ein schwerer
Statutenbruch, der zu sofortigem Rauswurf aus dem Turniersaal führt, hat im Fall
IEPE B.T. Rubingh jedoch System. Der Kreative aus Rotterdam, der seit bald
sieben Jahren in der Bundeshauptstadt lebt, möchte nämlich eine neue
Wettkampf-Disziplin etablieren: Die klingt zwar wie ein Vorgriff auf die rein
kalendarisch eigentlich noch recht ferne närrische Saison ab 11.11., ist aber
von ihrem Promoter absolut ernst gemeint - das so genannte
„Schach-Boxen“.
Wie das gehen soll? Ein
Faustkampf und eine 12-Minuten-Schnellpartie werden kombiniert, jeweils im
Wechsel, maximal 11 Runden lang; wer zuerst den Knock-out schafft, entweder am
Brett oder mit einem satten und physisch nachhaltigen Treffer, verlässt die
Szene als Sieger. IEPE B.T. Rubingh hat bereits einen richtigen Weltverband
gegründet, die „World
Chess Boxing Organisation“
(WCBO), die an Berlins Ackerstraße Nr. 3 residiert. Praktischerweise ist der
Vater dieser Idee auch gleich der Champ in seinem eigenen Verband, nach einem
Auftaktsieg im November 2003 gegen Luis
„The Lawyer“
in Amsterdam und einer erfolgreichen Titelverteidigung Mitte April in Tokio
gegen einen gewissen Soichiro „The
Cho-Yabai“
(übersetzt: „Der
Gefährliche“).
Weitere Meilensteine in der noch jungen WCBO-Geschichte werden sein: ein
Show-Kampf zwei Tage vor Beginn der Olympischen Sommerspiele im August in Athen
– und im September 2004 die Eröffnung eines ersten Gyms für Chess Boxing am
Prenzlauer Berg.
Beim Interview hat der Autor
Dr. René Gralla
übrigens dankend
darauf verzichtet, das Schach-Boxen live zu testen: Der 29-jährige IEPE ist ein
durchtrainierter Mittelgewichtler und bringt ein Kampfgewicht von 74 Kilogramm
auf die Waage.
Machen Sie
mit dem Schach-Boxen den Traum aller frustrierten Schachspieler wahr? Die einem
überlegenen Gegner endlich legal eine runterhauen dürfen?
Nein. Denn für Schach-Boxen
müssen Sie sich erst einmal richtig ins Zeug legen; Sie brauchen ein paar Jahre
richtiges Box-Training, bevor Sie in den Ring dürfen. Und bis dahin hat der
Frust von der letzten verlorenen Partie sicher schon wieder nachgelassen.
Oder
setzen Sie mit Ihrem Konzept - natürlich unbeabsichtigt - den berüchtigten
Schnack von prügelnden Paukern aus der pädagogischen Steinzeit vor 1968 um:
„Leichte Schläge auf
den Hinterkopf erhöhen die Denkfähigkeit!“?
Dieses Sprichwort höre ich zum
ersten Mal. Was soll ich dazu sagen?! (lacht)
Ob Sie es glauben oder nicht: Schach-Boxen ist ein
seriöser Sport.
Aber wenn
Sie beim Schach-Boxen in der Faustkampf-Runde solche Hiebe auf den Schädel
kriegt: Die Partien müssen doch grauenhaft sein, die dabei herauskommen?
Die Schachpartien haben bis
jetzt tatsächlich kein hohes Niveau
…
… was wohl
keine allzu große
Überraschung sein dürfte. Wenn man sich prügelt, wird man kaum eine
Glanzleistung auf dem Brett schaffen?!
… aber
das liegt nicht daran, dass Du einen dicken Schädel im Ring hast; den kriegst Du
erst am nächsten Tag. Dein Schachspiel wird nicht durch die Schläge während des
Fights behindert; was Dich behindert, ist die Überdosis Adrenalin und der hohe
Puls. Du brauchst deswegen eine extreme Kontrolle über Deinen Körper, um beim
Chess Boxing gleichzeitig auch gut Schach spielen zu können.
Das
Problem ist jedoch: Man muss auch noch ganz simpel auf’s Brett gucken können.
Denken Sie an die letzte Niederlage von Vitali Klitschko – als der so einen
fatalen Treffer auf’s Auge abgekriegt hat, dass Vitali danach
wegen starker Blutungen praktisch
nichts mehr sehen konnte.
Das stimmt. Aber dann wird man
eben für technisch
schachmatt erklärt.
Erklären
Sie uns bitte, wie Sie überhaupt auf diese verrückte Idee gekommen sind.
Die habe ich im Comic
„Kalter Äquator“
des Belgrader Künstlers Enki Bilal gefunden. Seitdem lässt mich der Gedanke
nicht mehr los. Schachspieler bin ich sowieso gewesen, außerdem habe ich
zwischenzeitig zusätzlich noch mit Boxen angefangen.
Chess Boxing ist jetzt für mich die Möglichkeit, beides zu kombinieren: zunächst
als Kunstform – wobei ich jedoch sehr schnell gemerkt habe, dass Schach-Boxen
das Potenzial für einen richtigen Sport besitzt.
Und dann haben wir begonnen, mit dem Holländischen Schachbund und
mit dem Holländischen Boxbund zusammenzuarbeiten; wir haben ein Regelwerk
aufgestellt, was demnächst auch verfeinert wird.
Wir sehen
also: Sie meinen das alles wirklich ernst?!
Ja!
(lacht)
Ich stecke nicht umsonst meine Zeit in das Projekt. In
den letzten anderthalb Jahren haben wir mit so vielen Leuten daran gearbeitet:
Das macht man nicht, wenn die Aktion bloß ein Scherz wäre.
Aber wie
soll Schach-Boxen denn
auf Dauer funktionieren? Das sind doch komplette Gegensätze: auf der
einen Seite diese Schachspieler – vergrübelt, verwurschtelt, fürchterliche
Körper, abgeschlafft - ;
auf der anderen Seite Boxer
mit ihren ausdefinierten Muskeln?
Das ist doch eine sehr schöne
Verbindung. Ich kenne ja auch die Schachvereine und die Boxvereine, ich kenne
den gegensätzlichen Typus von Schachspieler und Boxer. Und da denkt man sich: Du
Schachspieler, beweg’ Dich mal ein bisschen, komm’ runter von diesem Stuhl,
komm’ hinter Deinem Rechner hervor! Und bei den Boxern denkt man ab und zu: Der
könnte auch mal ein bisschen sein Gehirn einschalten.
Zugegeben:
Tatsächlich gibt es eine überraschende Vorliebe mancher Boxstars für das Schach.
Lennox Lewis und die Klitschko-Brüder schieben die Figuren; die weibliche
Boxerin Daisy Lang, die allerdings leider kürzlich in Kiel gegen Regina Halmich
verloren hat, interessiert sich für die chinesische Variante Xiangqi. Wie kommt
das?
Da gibt es Berührungen auf der
symbolischen Ebene. Wenn man möchte, könnte man sagen: Die Türme sind Deine
rechte Gerade, der Springer ist wie ein Haken. Und allgemeiner gesprochen:
Schach ist ein strategisches Kriegsspiel. Boxen ist, doof gesagt,
eine Prügelei im Ring, aber auch mit gewissen Regeln, wie Schach. Bestimmte
Boxer - wie Lennox Lewis - sind echte Strategen: Der geht nicht so einfach
geradeaus wie Mike Tyson; der überlegt sich vorher eine Strategie, die er auf
den jeweiligen Gegner zuschneidet. Und dann spielt er immer ein wenig Schach im
Ring. Das gilt
eigentlich auch für Vitali Klitschko – obwohl
der heutzutage leider nicht mehr so ein
Stratege ist. Nebenbei bemerkt: Auffällig ist auch, wie sich manchmal sogar die
Sprache der Sportberichterstattung überlappt: „They played a game of chess in
the ring.“
Und das
setzen Sie nun in die Realität um?
Stimmt. Das Faszinierende
daran ist: dass sich unser Projekt zu einer eigenständigen Sportdisziplin
entwickelt hat. Wobei man ganz spezifische Dinge trainieren muss: Wie kommst Du
klar mit Deiner Überdosis Adrenalin nach der Boxrunde – wenn Du Dich hinter das
Brett zur Schachrunde setzen musst?! Das ist wie beim Biathlon: Das muss man
üben, und dann wird sich zeigen, wer das besser kann.
Wollen Sie
denn mit Schach-Boxen womöglich auch in den Kanon der Olympischen Sommerspiele
aufgenommen werden?
Ja.
Wir von der WCBO unterstützen Initiativen im Ausland: gerade jetzt in Dallas, in
Amerika, und in Serbien-Montenegro. Das hört sich alles sehr groß an, ist in
Wahrheit aber noch klein, aber irgendwie muss die Sache
doch anfangen. Denn
ich glaube daran, das Schach-Boxen eine Zukunft hat.
Dass es
eine Initiative in Serbien-Montenegro gibt, dort Chess
Boxing auf die Beine zu stellen, das wundert uns natürlich nicht:
bürgerkriegsgestählte Serben, die ein knallhartes Argument lieben, sind im
Schach gleichzeitig auch gewitzt!
Ja! Aber ich
betone – das Motto der WCBO lautet: „Fighting is done in the ring, and wars are
waged on the board.“
Kann Chess
Boxing nicht zur Brutalisierung nun auch noch des Schachsports
beitragen?!
Natürlich kann das missbraucht
werden, so wie jeder Kampfsport. Aber wie Sie andererseits wissen, bemühen sich
viele Box- und Kampfsportvereine darum, dass sich die Leute eine gewisse
Disziplin aneignen. Und eine gewisse Beherrschung ihrer Aggressionen.
Was sagt
der Weltschachbund FIDE zu Ihrer Initiative?
Mit
der FIDE haben wir noch nicht gesprochen. Bisher arbeiten wir zusammen mit dem
Holländischen Schachbund und mit dem Japanischen Schachbund, und wir stehen auch
in Kontakt mit dem
Deutschen Schachbund. Am Anfang sind die alle ein bisschen skeptisch gewesen;
viele erkennen aber, dass Schach-Boxen das Schach gerade auch bei Jugendlichen
wieder populär machen kann. Bei unseren ersten Titelkämpfen,
in Amsterdam und Tokio,
haben wir insofern festgestellt: Wenn Leute das live sehen – Großmeister oder
Offizielle vom Schachbund - , dann können die sich durchaus für Chess Boxing
begeistern.
Allerdings
ist die Schachwelt mehrheitlich sehr konservativ. Die Puristen wehren sich gegen
alles, was sie für unpassendes
Beiwerk und minderwertigen Boulevard halten. Meinungsführer der Beton-Fraktion
ist das Fachblatt „Schach“, deren Redaktion pikanterweise ausgerechnet bei
Ihnen, Herr Rubingh, in Berlin sitzt, wo jetzt auch die WCBO residiert: Diese
Konservativen wettern gegen alles, was nach deren Meinung den wissenschaftlichen
Wert des Schachs gefährdet. Tun Sie aber, Herr Rubingh, nicht das genaue
Gegenteil dessen, was die Gralshüter mit Klauen und Zähnen und viel PC-Geklapper
verteidigen? Ihr Chess Boxing – das ist doch die Überfrachtung des ernsthaften
Schachspiels mit einer Riesenshow!
Nein. Schach-Boxen ist
inzwischen eine eigenständige Disziplin. Sie muss sich nicht an dem messen
lassen, was als Maßstab für den traditionellen Schachsport gilt. Die
Biathlon-Liga wurde ja früher auch ausgelacht von allen Seiten. Die Langläufer
haben gesagt, die Biathlon-Läufer werden beim Langlauf niemals an unsere
Leistungen heranreichen; entsprechend haben sich die Schützen geäußert. Chess
Boxing wird sich wie Biathlon durchsetzen.
Deswegen
sagen Sie dann auch: Partien im Chess
Boxing haben eine eigenständige Wertigkeit?
Genau.
Wie häufig
trainieren Sie Schach und Boxen?
Zweimal in der Woche übe ich
Schach; mit einem Coach, der ein ELO-Rating von rund 2200 hat. Ich selber liege
jetzt bei ELO 1700. Dreimal in der Woche trainiere ich Boxen, beim Post SV in
der Gormannstraße,
einem Traditionsverein aus der alten DDR.
Haben Sie
schon mit den Klitschko-Brüdern gesprochen?
Die möchten wir zu einem
unserer nächsten Events einladen. Vielleicht für einen kleinen Showkampf.
Wann
werden Sie Ihren Titel als Weltmeister im Schach-Boxen verteidigen?
Wahrscheinlich 2005 in Berlin.
Sehen Sie
jetzt schon einen Herausforderer?
Vor dem WM-Kampf veranstalten
wir ein Qualifikationsturnier. Da können sich Titelanwärter bewerben und um den
Einzug ins Finale kämpfen.
Ist das
eine Chance für gescheiterte Schachtalente: am Brett zu schlecht, aber in den
Fäusten hat man’s?! Und so kann man dann doch noch Weltmeister werden?!
Nicht unbedingt. Es ist gar
nicht so einfach, jemanden gleich in der ersten Runde ko zu schlagen.
Sie wissen
ja, was in der Schachwelt los ist. Zwei Weltmeister machen sich gegenseitig den
Rang streitig – einmal gibt es den Champ im Classic Chess, Wladimir Kramnik, und
dann gibt es die neue Nr. 1 der FIDE, der wird ab 19. Juni im libyschen Tripolis
ermittelt. Und außerdem ist da Garri Kasparow, der unverdrossen von sich
behauptet, er sei weiterhin der beste Spieler der Welt – weil er die
ELO-Rating-Liste anführt. Ferner haben wir den Inder Viswanathan Anand, der
immerhin die ELO-Nr. 2 ist. Seit zwei Jahren wird versucht, das Hickhack zu
beenden: Wäre da nicht das Schach-Boxen die ideale Lösung? Dass man ein für alle
mal auf eine klare, eindeutige, sichtbare und männliche Weise diesen albernen
Streit beendet?
Nein.
(lacht) Das kann ich mir nun doch
nicht vorstellen.
Interview:
Dr. René Gralla