ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
Anatoly Karpov, der 12. Weltmeister (von 1975–1985) und
FIDE-Weltmeister (nach der Trennung von Kasparov von 1993–1999) ist einer der
größten Spieler unserer Zeit. Nach zwei eher mageren Jahren meldete sich Anatoly,
mittlerweile 50, mit Pauken- und Trompeten zurück: Er errang K.O.-Siege über
Nigel Short, Vladimir Kramnik, Alexander Morozevich und Alexei Shirov bei der
Eurotel World Chess Trophy in Prag, dem wahrscheinlich stärksten
Schnellschachturnier aller Zeiten. Zuvor hatte schon beim FIDE World Cup in
Dubai groß aufgespielt. Am letzten Wochenende weilte Karpov bei den
Feierlichkeiten zum 125. Jubiläum des Deutschen Schachbundes in Leipzig, als
Ehrengast und Redner. Bei dieser Gelegenheit gab er für ChessBase das folgende
Interview.
ChessBase: Was halten Sie von den in Prag gefassten Entschlüssen?
Karpov: Allgemein glaube ich, es ist positiv für das Schach. Am Ende wurde
jedem klar, dass die Spaltung der Schachwelt absolut negativ war – für uns, die
Sponsoren, für das Schach allgemein. Daher freute ich mich, die Reden in Prag zu
hören, wo ich in den ersten beiden Stunden bei den Treffen dabei war. Die
Wiedervereinigung war zweifellos nötig, das hätten alle schon vor vielen Jahren
begreifen sollen. Die Spaltung dauerte zehn Jahre, das ist eine lange Zeit. Sie
führte zu vielen Komplikationen, die wir berücksichtigen müssen. Alle momentan
vorgeschlagenen Pläne kamen von außerhalb der FIDE. Bessel Kok, Kasparov,
Kramnik, die Leute aus Dortmund - sie alle machten Vorschläge, welche die FIDE
einfach akzeptierte. Wahrscheinlich – mit Sicherheit – hat lyumzhinov
Vorverhandlungen geführt. Wir wissen, dass er etwas mit Kasparov unterschrieben
hat, aber im Detailplan müssen sie die Interessen der Föderationen und der
Spieler schützen. Im Moment jedoch kamen alle vorgeschlagenen Pläne von außen;
die Interessen der FIDE und der Spieler, welche die FIDE unterstützen, werden
also nicht vertreten. Nur ein einziger Spieler kommt von der FIDE-Seite, Ruslan
Ponomariov, der amtierende Weltmeister. In den letzten zehn Jahren hatte die
FIDE aber vier Weltmeister, und Anand wie Ivanchuk weigerten sich, in Dortmund
zu spielen, im Interesse der FIDE. Sie waren loyal gegenüber der FIDE und haben
sie verteidigt.
ChessBase: Und was missfällt Ihnen an dem Plan?
Karpov: Ich weiß nicht, ob Kasparov und Kramnik noch immer beanspruchen
können, Weltmeister zu sein. Bei Kasparov ist das natürlich gänzlich unklar,
weil er ja einen Wettkampf mit Kramnik spielte, der als Weltmeisterschaftsmatch
tituliert wurde, und unterlag. Kasparov war äußerst erfolgreich bei Turnieren,
doch das Match um den Titel hat er nun mal verloren, daher kann er sich nicht
als amtierender Weltmeister bezeichnen, bis er Kramnik geschlagen hat.
Allerdings ist er der erfolgreichste Turnierspieler der letzten Jahre, daher
finde ich, er hat gewisse Rechte. Wenn man den Sieger eines Wettkampfes als
einzigen Weltmeister akzeptieren will, muss Kasparov dabei sein. Wenn man dann
noch Kramnik und Ponomariov dazu nimmt, ist alles klar.
ChessBase: Meinen Sie damit, man sollte eine Wiedervereinigung mit nur
diesen drei Spielern veranstalten?
Karpov: Ja, ganz gleich nach welchem System, sie sollten einfach
gegeneinander antreten, sonst niemand.
ChessBase: Und das wäre eine Lösung?
Karpov: Ich will mal so sagen: es würde keine zusätzlichen Probleme
schaffen. Es würde den Titel vereinen. Aber wenn man das Dortmunder Turnier als
eine Art Qualifikation für Kramnik akzeptiert, wird es sehr viel schwerer.
ChessBase: Also was genau schlagen Sie vor? Was würden Sie tun, wenn Sie
überall das Sagen hätten und heute eine Entscheidung treffen müssten?
Karpov: Darüber habe ich noch nicht genau nachgedacht, und ich sehe die
Probleme. Es ist nicht so einfach, unmittelbare Ratschläge zu erteilen. Es muss
Lösungen geben, aber leicht ist es nicht. Ich denke, angesichts der neuen
Situation sollten die Dortmunder Veranstalter vielleicht überlegen, was sie tun
sollen: Dortmund als Kandidatenturnier für Kramnik beibehalten oder es eben
umorganisieren, mit den anderen Spielern.
ChessBase: Sie meinen Anand und Ivanchuk?
Karpov: Ja, sowie Khalifman und mich selbst.
ChessBase: Soll das heißen, die schnellste Lösung wäre jetzt, das Dortmunder
Turnier um vier Spieler zu erweitern?
Karpov: Ja, wahrscheinlich ist das einfacher. Wenn man das Bild der
Schachwelt so dramatisch verändern will, sollte man etwas anderes organisieren.
ChessBase: Dortmund absagen?
Karpov: Nein, Dortmund als traditionelles Turnier
belassen, mit Lutz, der nichts mit den Kandidaten und der neuen Situation zu tun
hat. Denn die deutschen Veranstalter haben natürlich das Recht, einen
Lokalmatador einzuladen, und Christopher ist ein sehr guter Spieler. Er sollte
also am Dortmunder Turnier teilnehmen. Aber man sollte ein weiteres Turnier mit
allen Topspielern organisieren.
ChessBase: Und was wäre mit dem Sieger des Turniers?
Karpov: Alles andere kann so bleiben. Kramnik hat eingewilligt, gegen den
Gewinner von Dortmund anzutreten; Kasparov ist bereit, gegen Ponomariov zu
spielen, und umgekehrt ist es wahrscheinlich genauso. Es wäre also einfacher, es
so zu belassen.
ChessBase: Und in welchem Zeitrahmen sollte all dies passieren?
Karpov: Nein, das geht zu weit ins Detail, darüber habe ich noch nicht
nachgedacht.
ChessBase: Wurden Sie in Prag bzw. beim Vereinigungsplan konsultiert?
Karpov: Ich nahm nur während der ersten zwei Stunden an dem Treffen teil,
sonst nichts.
ChessBase: Wie ist dieser Tage Ihr Verhältnis zu Ilyumzhinov? Sie waren
früher sehr enge Freunde.
Karpov: Ilyumzhinov? Glauben Sie etwa, die Sache vor
dem Olympischen Gerichtshof in Luzern war etwas zwischen Freunden?
ChessBase: Bitte frischen Sie unser Gedächtnis auf.
Karpov: Die FIDE hat mir einfach ein Jahr meiner Weltmeisterschaft
gestohlen. Sie haben den Zyklus von zwei Jahren auf ein Jahr reduziert. Deshalb
mussten wir in Luzern vor Gericht gehen.
ChessBase: Und seitdem sind sie nicht gut aufeinander zu sprechen?
Karpov: Was heißt seitdem? Wenn wir ein gutes Verhältnis gehabt hätten, dann
wäre es ja nicht soweit gekommen. Damit meine ich übrigens die Führung der FIDE.
Die FIDE selbst habe ich die ganze Zeit unterstützt; ich hatte also keine
Probleme mit der Organisation, sondern mit der Führung.
ChessBase: Verspüren Sie Bitterkeit gegenüber der FIDE?
Karpov: Schwer zu sagen. Zuerst muss ich die Leute treffen, mit ihnen reden,
verstehen, was genau sie in Prag gemacht haben. Als ich Prag verließ, war ich
zufrieden mit der Situation. Zu jenem Zeitpunkt sah alles gut aus. Aber jetzt
muss ich erst mal die Unterlagen prüfen und mit den Leuten reden; anschließend
kann ich mir ein klares Bild machen.
ChessBase: Kasparovs Verhältnis zur FIDE und zu Kirsan Ilyumzhinov ist
offenbar bestens.
Karpov: Makropolous sagte in Prag, dass an den Vorschlägen viele Dinge ein
wenig merkwürdig sind. Ursprünglich hatte Kasparov die FIDE verlassen und die
Spaltung der Schachwelt verursacht. Nun wird es in diesem vorgeschlagenen System
am Ende ein Wiedervereinigungsmatch zwischen der Kramnik-Gruppe und der
FIDE-Gruppe geben. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Kasparov Ponomariov
schlägt und dann in diesem Wettkampf die Seite der FIDE vertritt. Das Zweite,
was Makropolous nicht verstehen konnte, war, wie die FIDE-Weltmeister
ausgeschlossen werden konnten, mit Ausnahme Ponomariovs.
ChessBase: Glauben Sie, bei einer Teilnahme an den
Wiedervereinungsturnieren hätten Sie eine Chance auf ein Comeback als
Weltmeister?
Karpov: Naja, was die letzten zwei Jahre angeht, kann ich nicht
behaupten, ich hätte Schach - und vor allem die Vorbereitung - allzu
ernstgenommen. Denn auf Grund all der Geschehnisse machte es mir keinen Spaß,
und es ist schwer, sich auf etwas zu konzentrieren, an dem man keine Freude hat.
Aber jetzt ändert sich die Situation, und ich betreibe wieder einmal ernsthafte
Wettkampfvorbereitung.
ChessBase: Dann fängt es an, Ihnen wieder Spaß zu machen?
Karpov: Ja, die Arbeit macht mir wieder Spaß. Ich kann sehen, wofür ich
etwas tue, und dann kann ich es genießen.
Das Interview führte Frederic Friedel