Die Europäische Schachunion (ECU) - Tagung bei der Schacholympiade

von ChessBase
08.12.2008 – Nicht nur die FIDE nutzte die vergangene Schacholympiade für eine Versammlung ihrer Delegierten, auch die European Chess Union (ECU) tagte. Schon 1985 war diese während des 56.FIDE-Kongresses in Graz gegründet worden, auch, um zu der von Florencio Campomanes nicht sehr glücklich geleiteten FIDE und der Verlagerung ihrer Aktivitäten nach Asien ein europäisches Gegengewicht zu bilden. Während viele andere Kontinental-Organisationen von der FIDE finanziell abhängig sind, kann die ECU weitgehend unabhängig operieren. In der ECU übt der Deutsche Schachbund - in der FIDE bisher kaum repräsentiert  - auch einigen Einfluss aus, denn die Räume des ECU-Sekretariats befinden sich in der Geschäftsstelle des DSB und DSB-Geschäftsführer Horst Metzing ist seit 1998 zugleich Generalsekretär der ECU. Gerald Schendel, seit Herbst 2006 auch "Press Officer" der ECU, nimmt anlässlich der Tagung in Dresden eine Standortbestimmung vor.European Chess Union...Mehr...

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Die Europäische Schachunion (European Chess Union ECU)
Gerald Schendel
Fotos von Hedwig K. Albrecht

Vor wenigen Wochen erst schrieb die indische Schachjournalistin Manisha Mohite über die ihrer Meinung nach "eurozentrische Schachwelt". Dagegen klagte Boris Kutin, seit 1998 Präsident der European Chess Union (ECU),  während der ECU-Generalversammlung in Dresden: "Europa besitzt innerhalb des Weltschachbundes FIDE kein sehr hohes Ansehen."

Gegründet wurde die ECU 1985 während des 56. FIDE-Kongresses, der in Graz (Österreich) von Prof. Kurt Jungwirth und Gertrude Wagner perfekt organisiert worden war. Die FIDE befand sich seit 1982 unter der Leitung von Florencio Campomanes (Philippinen), dem ersten FIDE-Präsidenten aus Asien. Den Delegierten war noch gut in Erinnerung, wie FIDE-Präsident Campomanes den ersten WM-Kampf Karpow-Kasparow von 1984/85 abgebrochen hatte. Weiterer Sprengstoff war die Vergabe der Schacholympiade 1986 an Dubai wegen der absehbaren Nichtteilnahme Israels. Der schwedische FIDE-Delegierte Rolf Littorin engagierte sich in dieser Angelegenheit und wurde am 30. August 1985 zum ersten ECU-Präsidenten gewählt.

Nachdem in den zurückliegenden Jahren immer mehr Entwicklungsländer des Schachs stimmberechtigte Mitglieder des Weltschachbundes geworden waren, war man in Europa damals der Ansicht, dass der Einfluss der Europäer in keinem Verhältnis zu der Rolle stand, die sie auf dem Gebiet des Spitzenschachs spielten.

In einer deutschen Schachzeitschrift wurde der FIDE-Kongress 1985 in Graz mit den Worten kommentiert: "Die Agenda wurde straff durchgezogen, wie man es von autoritär beherrschten Hierarchien kennt. Für so etwas wie demokratisch angehauchte Sachdiskussionen war da kein Platz. (...) 29 europäische Verbände haben eine Europäische Schachunion ins Leben gerufen, von der (...) vielleicht ein 'aufgeklärtes' Gegengewicht zur 'FIDE a la Dritte Welt' zu erhoffen ist." (Europa-Rochade 9-1985, S. 8)

Der Gedanke, die ECU als "Gegengewicht" oder gar als Konkurrenz, bzw. Alternative zur FIDE auszubauen, tauchte in den vergangenen Jahren immer wieder einmal auf - sei es als Befürchtung seitens der FIDE-Führung, sei es als Illusion derjenigen, die mit dem Weltschachbund unzufrieden sind. Tatsächlich ist eine derartige Entwicklung "nicht realistisch", so meint jedenfalls der derzeitige ECU-Generalsekretär Horst Metzing (Deutschland). Sinn und Zweck der ECU war und ist, europäische Schachinteressen zu definieren und zu verteidigen.

Das Modell für die organisatorische Funktion der ECU ist im Fußball die UEFA innerhalb der FIFA.

Der Österreicher Prof. Kurt Jungwirth übernahm 1986 den Vorsitz in der Europäischen Schachunion. Unter seiner Präsidentschaft (bis 1998) wurde im Jahr 1997 ein grundlegender Schritt in der Entwicklung der ECU eingeleitet: die Entwicklung einer eigenständigen Finanzstruktur. Diese Aufgabe innerhalb der ECU übernahm ab 1998 der damalige Präsident des Deutschen Schachbundes (DSB) Egon Ditt als ECU-Schatzmeister (bis zu seinem Tode im Jahre 2005).


Noch immer in der ersten Reihe: Kurt Jungwirth während der ECU-Generalversammlung in Dresden.

Da der langjährige DSB-Geschäftsführer Horst Metzing seit 1998 zugleich Generalsekretär der ECU ist und sich die Räume des ECU-Sekretariats in der Geschäftsstelle des DSB befinden (vergl. ChessBase-Bericht vom November 2000), ist die Beziehung zwischen DSB und ECU sehr eng. Der Deutsche Schachbund lud die ECU-Offiziellen am Abend vor der ECU-Generalversammlung in Dresden zu einem Empfang ein.


DSB-Präsident Robert von Weizsäcker und ECU-Präsident Boris Kutin


Auch Frederic Friedel (ChessBase) war eingeladen.


ECU-Generalsekretär Horst Metzing, ECU-Marketing-Direktor Theodoros Tsorbatzoglou (Griechenland), ECU-Vorstandsmitglied Damir Levacic (Frankreich), ECU-Präsident Boris Kutin und Patrick Wiebe (Deutsche Schachjugend).


ECU-Präsident Boris Kutin traf in Dresden erstmals den im Herbst 2006 ernannten ECU Press Officer Gerald Schendel (Deutschland).

Am nächsten Tag begrüßte DSB-Präsident Robert von Weizsäcker bei der ECU-Generalversammlung ECU-Vorstand und Delegierte.

ECU-Präsident Boris Kutin zeigte sich in seinem Tätigkeitsbericht zufrieden: Alle größeren ECU-Veranstaltungen verzeichneten Teilnehmer-Rekorde. Eben dieser Punkt gab gleichzeitig zu Bedenken Anlass. Wenn bei den Jugendeuropameisterschaften annähernd eintausend Spieler teilnehmen, so könnte dies dazu führen, dass die Bedingungen bei der Unterkunft nicht optimal gehalten werden können, gab Kurt Jungwirth zu bedenken. Der Vorschlag andererseits, die Veranstaltung zu teilen, fand keine Gegenliebe, weil es den nationalen Föderationen lieber ist, wenn sie nur eine Delegation zu entsenden brauchen.

ECU-Kassenprüfer Willy Iclicki war mit den Finanzen der ECU zufrieden. Zwar sei es ihm (wie in den vergangenen Jahren) nicht gelungen, den ECU-Schatzmeister zu treffen, doch die Konten, die vom Deutschen Schachbund, bzw. dem ECU-Sekretariat in Berlin betreut werden, seien sehr ordentlich geführt. Auf Vorschlag von Iclicki wurde der ECU-Vorstand einstimmig entlastet.

Im Zusammenhang mit den Finanzen der ECU stand übrigens die Bemerkung Kutins, dass Europa (bzw. die ECU) bei der FIDE nicht in sehr hohen Ansehen stehe. Die Kehrseite der finanziellen Unabhängigkeit der ECU von der FIDE ist nämlich, dass Zuschüsse, die anderen Kontinentalorganisationen aus den zuweilen unergründlichen Tiefen der FIDE-Finanzräume gewährt werden, für die ECU nicht (mehr) zur Verfügung stehen.

Der bisherige ECU-Schatzmeister, Mahir Mammedov (Aserbeidschan), war wenige Tage vor der ECU-Generalversammlung aus beruflichen Gründen zurückgetreten. Zu seinem Nachfolger wurde Kurt Gretener (Schweiz) gewählt.

Der Vorschlag der Association of Chess Players (ACP) den europäischen Vereinscup mit künftig 9 statt 7 Runden zu spielen und es bei den Frauen bei 7 Runden zu belassen, wurde von den Delegierten mit klarer Mehrheit zurückgewiesen. Es werden also weiterhin 7 Runden gespielt.

Lange Diskussionen, in denen es auch zu heftigen Vorwürfen einzelner Delegierter gegenüber dem ECU-Präsidium, insbesondere ECU-Präsident Boris Kutin, kam, gab es bei der Vergabe europäischer Meisterschaften. Dabei zeigte sich, wie wichtig es ist, Bewerbungsprozeduren klar zu definieren. Was im Bewusstsein mancher Delegierter noch nicht verankert ist, ist die Tatsache, dass das Land "Jugoslawien" nicht mehr existiert. Wenn etwa eine Veranstaltung an Montenegro vergeben werden soll und eine andere an Kroatien, so sehen manche darin einen Verstoß gegen das Prinzip, dass kein Land zwei Veranstaltungen übernehmen soll.

Zum Abschluss der ECU-Generalversammlung präsentierte Marketing-Direktor Theodoros Tsorbatzoglou sein Marketing-Konzept. Marketing ist der Bereich, in dem die ECU ihre Aktivitäten verstärkt ausbauen möchte.

Text/Bilder: Gerald Schendel / Hedwig K. Albrecht

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