San Luis 2005 – reif für die Insel
Von Martin Fischer
Sie kennen sicherlich das
beliebte Spiel um die Inselfrage. Was mitnehmen auf eine einsame Insel? Nun,
Marilyn Monroe optierte für Chanel No. 5 und einen Mann. Für Schachspieler
stellt sich eine ähnliche Frage immer vor Beginn eines Urlaubs. Da hat man
viel Zeit – so hofft man zumindest, um sich einmal mit seinem Hobby zu
beschäftigen. Aber welches Buch nimmt man mit, denn meist ist der Platz –
und bei Flügen auch das Gewicht – beschränkt. Da heißt es in sich zu gehen
und ein Buch herauszusuchen mit dem Ü-Ei Effekt. Es soll Spaß machen, man
will was lernen und man will spielen. Was tun, denn zwei Bücher mitnehmen
wäre geschummelt.
Was nehme ich mit in den
Urlaub?
Eröffnungsbücher? Hmm, wenn
man viel Zeit hat, dann ist das vielleicht der Zeitpunkt die Lücken, die
sich im Franzosen in der letzten Zeit gezeigt haben, wieder zu schließen.
Aber das klingt dann doch nach Arbeit, wo man doch in den Urlaub fährt. Ein
Endspielbuch, auch nicht schlecht – der Urlaub kann viele halbe Punkte
retten. Aber nur Endspiele – man ist ja schließlich kein Masochist.
Die Rückkehr des
Turnierbuches – San Luis 2005 von Alik Gershon und Igor Nor
Früher oder später fällt
dann das Auge auf das eine oder andere Turnierbuch, das im Regal steht. Und
ja, Turnierbücher haben etwas von allem. Eröffnungstheorie, Taktik,
Strategie und auch Endspiele. Dumm nur, das die guten Eröffnungsbücher meist
schon ein eher reiferes Alter aufweisen und aus den 50er- oder 60er-Jahren
stammen. Mit halbwegs aktueller Eröffnungstheorie ist da nicht zu rechnen.
Aber nicht alle Turnierbücher, denn es gibt jetzt das ultimative Buch über
die Weltmeisterschaft 2005, bei der Topalov so überzeugend den Titel gewann.
San Luis 2005 von den GM Alik Gershon und Igor Nor
Lernen ...,
Den Autoren ist mit diesem
Turnierbuch ein großer Wurf gelungen. Das Buch ist als Schachbuch klasse,
denn alle Partien des Turniers sind liebevoll kommentiert und erläutert. Die
Eröffnungsphase aller Partien ist an Hand der aktuellen Theorie erläutert,
aber der Leser wird hier nicht mit Varianten zugeschüttet, sondern im
Vordergrund steht eine Erläuterung der schachlichen Ideen und der
Turniertaktik. Gelungen ist auch in vielen Partien die Kommentierung des
Mittelspiels. Hier gibt es viel zu lernen, gerade auch für die eigenen
Partien. Und es ist spannend, denn aus Autorenteam vergisst zu keinem
Zeitpunkt, dass es sich hier um Partien aus einem WM-Turnier handelt und
viel auf dem Spiel steht.
..., Spaß haben ...
Das Autorenteam denkt aber
auf jeder Seite des Buches an seine Leser, die naturgemäß weniger spielstark
sind als die beteiligten Spieler und versteht es, das geschehen auf dem
Brett in unterhaltsamer Form lehrreich und locker herüberzubringen. Durch
ein ausgewogenes Maß zwischen Varianten und erläuterndem Text verstehen es
beide, die notwendige Präzision und Tiefe (durch die Varianten)
rüberzubringen als auch „gas große ganze“ nicht aus den Augen zu verlieren.
... oder einfach nur
lesen.
Und das Buch ist nicht nur
ein gutes Schachbuch – es ist auch ein sehr schönes Lesebuch. Dem Turnier
sind informative Vorstellungen der Spieler, ihrer bisherigen schachlichen
Ergebnisse untereinander, vorausgestellt. Vor jeder Runde gibt es einen
Ausblick auf die vier Partien. Die Partien selbst sind durch zahlreiche
Diagramme aufgelockert, so dass man das Buch auch im Strandkorb, im Flugzeug
oder wo immer man kein Schachbrett zur Hand hat mit Vergnügen lesen kann.
Hier kommt das qualitativ hochwertige Papier, das für den Druck verwendet
wurde sowie die stabile Aufmachung voll zur Geltung. Und als I-Tüpfelchen
gibt es dann noch eine große Anzahl von Bildern, welche einem die Anspannung
der Spieler als auch die reizvolle Umgebung, in der das Turnier gespielt
wurde, näher bringen.
Das letzte Kapitel – hat
„Er“ sauber gespielt?
Beim Überfliegen des
Inhaltsverzeichnis bleibt der Blick auf dem letzten Kapitel hängen. Letzte
Kapitel waren schon immer die Momente, auf denen man als Leser mit großer
Spannung gewartet hat. Sie waren schon immer etwas Besonderes, nicht erst
seitdem „Harry Potter hieraus ein Staatsgeheimnis gemacht hat“. In diesem
letzten Kapitel widmen sich die Autoren der Frage, ob Topalov illegale Hilfe
durch „Du weißt schon wen“ erhalten hat. Mit durchaus lesenswerten
Argumenten beschäftigen sie sich mit den vorliegenden Verdächtigungen und
Fakten. Das Ergebnis ihrer Darstellung soll hier nicht verraten werden, aber
es ist durchaus überzeugend.
Rundum, ein Buch, das
komplett überzeugt und das jedem Leser sicherlich viel Spaß machen wird.
Vorausgesetzt, man kann leidlich Englisch lesen. Allerdings will ich zum
Schluss einen Nachteil des Buches nicht verschweigen: Ich suche noch einen
Urlaub, der lang genug ist für diese 56 Partien. Bis dahin müssen die
Winterabende oder ein schöner Sommerabend auf dem Balkon/der Terrasse
reichen.
Alik
Gershon, Igor Nor – San Luis 2005, Quality Chess, Göteborg 2007
Preis: € 29,99