Interview mit Bessel Kok
Von Dr. René Gralla
Wird Schach bald ein Millionengeschäft wie
Boxen oder Fußball? Der niederländische Geschäftsmann Bessel Kok (65) ist Chef
der in Amsterdam an den Start gegangenen Firma "Global Chess BV": Das
Unternehmen soll nach einem Bericht des Schachinformationsportals
ChessBase über ein Stammkapital von 4,5 Millionen Euro verfügen und künftig
vor allem die Weltmeisterschaften im schlauen Spiel professionell vermarkten.
Mit Bessel Kok, der "Global Chess BV" von Prag aus leitet, wo er bis 2004
Vizepräsident der ehemals staatlichen Unternehmens
Český Telecom war, spricht für die
Tageszeitung „Neues Deutschland“ (ND) der Autor Dr. René Gralla.
Bessel Kok
ND:
Werden wir demnächst eine Schach-WM erleben mit einer ähnlich üppigen
Preisbörse wie im Boxen?
BESSEL KOK: Dass Schach mit Boxen oder Fußball
gleichzieht, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erreichbar. Vor allem in
der Tagespresse findet das professionelle Schach aktuell bloß marginale
Aufmerksamkeit. Und allein mit großen Anstrengungen wird es uns gelingen, die
Preisfonds in die Höhe zu treiben und Profis und Veranstalter in die Lage zu
versetzen, mehr Geld mit Schach zu verdienen. Grundvoraussetzung dafür ist es,
Interesse in der Öffentlichkeit zu wecken und entsprechend Schach als
Massensport weltweit zu etablieren. Nur wenn das gelingt, werden Sponsoren
eher bereit sein, Schachwettkämpfe zu unterstützen und die jeweiligen
Preisfonds aufzustocken.
ND: 2006 traten Sie an, um neuer Präsident des Weltschachbundes FIDE zu
werden. Sie führten den Wahlkampf mit der zentralen Forderung "Right Move -
Der richtige Zug", und die Auseinandersetzung war hart und streckenweise sehr
polemisch. Aber nachdem Sie die entscheidende Abstimmung in Turin gegen den
alten und neuen Amtsinhaber Kirsan Iljumschinow verloren haben, ist es zu
einer überraschenden Verständigung zwischen Ihnen und Kirsan Iljumschinow
bekommen. Sichtbarer Ausdruck ist das gemeinsame Projekt "Global Chess BV":
eine Entscheidung von Ihrer Seite, die erklärungsbedürftig ist.
KOK: Einleitend eine
Klarstellung: "Global Chess" ist nicht der kommerzielle Arm der FIDE. "Global
Chess" ist ein Privatunternehmen, dessen Gründungskapital zum überwiegenden
Teil von Herrn Iljumschinow aufgebracht worden ist. Gleich am nächsten
Tag nach dem Wahlgang in Turin traf ich Kirsan, und er gab mir eindeutig zu
verstehen, dass er die Geschäftsstrategie, die ich während meiner "Right Move"-Kampagne
vorgestellt hatte, gerne umsetzen würde. Es schlossen sich mehrere Monate an,
in denen wir mit der FIDE darüber verhandelten, wie FIDE und "Global Chess"
ihre wechselseitigen Verantwortungsbereiche gegeneinander abgrenzen würden, so
dass in Zukunft keine Interessenkollisionen entstehen könnten.
Bessel Kok bei seiner Rede vor der letzten FIDE-Präsidiumswahl
ND: Für diejenigen, die Ihre ursprünglich an Kirsan Iljumschinow gerichtete
Herausforderung unterstützt haben, muss es aussehen, als ob Sie Ihre loyalen
Fans verkauft haben, indem Sie nach Ihrer gescheiterten
Präsidentschaftskandidatur die Seiten gewechselt und sich dem Lager des
Siegers Iljumschinow angeschlossen haben. Können Sie diese Kritik
nachvollziehen?
KOK: Mir ist nicht
bekannt, dass es Unterstützer gibt, die meinen, dass sie verkauft worden sind.
Schließlich haben alle Leute, die für unsere Kampagne gearbeitet haben, das zu
Grunde liegende strategische Programm und die Notwendigkeit verstanden, die
Schachwelt dahin zu bringen, unser Spiel von einem wirtschaftlichen
Blickwinkel aus zu sehen. Ich glaube, dass es ein größerer Fehlschlag für die
Schachwelt gewesen wäre, wenn sich die Beteiligten nach Turin als unfähig
erwiesen hätten, eine gemeinsame Plattform für Kooperation und Zusammenarbeit
zu finden.
ND: Bis heute hat es die FIDE nicht geschafft, finanzstarke Sponsoren für
sportliche Großereignisse zu gewinnen. Deswegen hat der amtierende
FIDE-Präsident Kirsan Iljunschinow, der nebenbei noch
Staatsoberhaupt der autonomen russischen Teilrepublik Kalmückien ist, in der
Vergangenheit dem Vernehmen nach sogar WM-Kämpfe aus eigenen Mittel
unterstützt. Warum soll Ihrer Firma "Global Chess BV" gelingen, woran die FIDE
bis dato gescheitert ist?
KOK: Der Schlüssel, um das
Interesse von Sponsoren zu wecken, ist ein professionelles Unternehmen, mit
dem sie kommunizieren können. Außerdem müssen wir in der Schachwelt eine
Umgebung schaffen, die stabil, glaubwürdig und verlässlich ist, um sich darauf
einzulassen. Das wird einige Jahre dauern. Gegenwärtig befinden wir uns in
einer Phase des Übergangs.
ND: Wären IT-Firmen oder Investmentbanken Ihre Wunschpartner?
KOK: Wir sondieren gerade
in einer Reihe von Geschäftsbereichen, von denen wir annehmen, dass dort
Kooperationen mit der FIDE ideal wären. Unser Ziel ist es, für jeden Partner
das geeignete Paket zu schnüren.
ND: Wird es sich für Sponsoren jemals auszahlen, bei Schach einzusteigen?
KOK: Ja. Vorausgesetzt,
wir arbeiten Hand in Hand, um Schach als wirklichen Weltsport zu etablieren
und in jedem Land bis hinunter auf der Graswurzelebene zu verankern. Sobald
dann eine kritische Masse erreicht worden ist, werden wir keine Probleme mehr
haben, Sponsoren zu werben.
ND: Sie sind ein erfolgreicher Businessmann. Sie waren nicht nur Vizepräsident
von Český Telecom, sondern gehörten zeitweise auch der Geschäftsführung des
belgischen Telekommunikationsunternehmens Belgacom an. Was bringt einen Mann
der Wirtschaft dazu, sich derart zu engagieren für den eher eigenbrötlerischen
Denksport Schach, der bisher kaum massentauglich ist?
KOK: Das ist ganz einfach:
Die Liebe zu einem Spiel, das sowohl künstlerisch als auch kreativ ist und aus
dem jeder von uns Gewinn ziehen kann, erklärt meinen Wunsch zu helfen.
ND: Schach hat ein grundsätzliches Problem: Anders als Fußball produziert das
Denkspiel keine Bilder, die auch Menschen spannend finden, die nicht wissen,
wie sich die Figuren bewegen. Gerade das dürfte Sponsoren abschrecken, bei
Schach einzusteigen. Wie wollen Sie diese Schwierigkeit überwinden?
KOK: Es gibt keine
einfache Lösung. Immerhin hat Schach ein großes Plus: Wettkämpfe können via
Internet 24 Stunden am Tag live übertragen werden, und bei Topevents loggen
sich weltweit auf den Servern mehrere hunderttausend Zuschauer ein. Allerdings
benötigen wir auch Moderatoren, die über die Fähigkeit verfügen, fehlende
Kenntnis der Regeln zu kompensieren, wenn sie Matches kommentieren.
ND: Was halten Sie von innovativen Diagrammen in 3D per Computergrafik?
Farbige Pfeile zeigen Angriffe oder ein drohendes Matt an, so dass selbst
Laien verstehen, was gerade auf dem Brett los ist.
KOK: Jedes Konzept, dass
die Übertragung einer Begegnung im Schach leichter verständlich macht, sollte
in Betracht gezogen werden.
ND: Müssten die Schachwettkämpfe nicht insgesamt auch schneller werden? Junge
russische Großmeister prophezeien, dass die Zukunft dem Blitzschach gehört.
KOK: Für das Fernsehen
sind 5-Minuten-Partien ein großer Vorteil, die Zuschauer haben Spaß beim
Blitz. Trotzdem darf die Qualität des Spiels nicht geopfert werden. Daher
sollten im Schach verschiedene Zeittakte nebeneinander akzeptiert werden; um
der Einheitlichkeit willen darf keine Einheitslösung forciert werden.
ND: In Deutschland
wird momentan viel über die möglichen Gefahren so genannter „Killer-Spiele“
diskutiert. Könnte eine innovative Marketingstrategie hier das Schach als
Alternative positionieren? Schließlich ist Schach ein strategisches Spiel –
und könnte so den Anspruch der möglichen neuen Zielgruppe befriedigen, sich in
anspruchsvollen strategischen Szenarien zu beweisen.
KOK: Schach ist ein
traditionelles Spiel, und natürlich bringen die Communities der Gamer immer
wieder noch mehr und noch attraktivere interaktive Spiele und Konsolen heraus
für ein Massenpublikum, das bereit ist, dafür viel Geld auszugeben. Unsere
Chance ist es, Schach zugänglich zu machen als interessant, bezahlbar und
verfügbar für ein breites Publikum.
ND: Könnte sich Schach insofern verwandeln in jenes "Battle Game", das Eltern
in der Nacht ruhig schlafen lässt? Weil sie wissen, dass die Kids am PC nur
jenes ehrwürdige Battle Game spielen, das seinen pädagogischen Wert bewiesen
hat seit vielen Generationen?
KOK: Eltern schlafen gut, wenn sie wissen, dass die Kids Dinge tun, die ihnen
helfen, den Charakter zu entwickeln und die eigene Lernfähigkeit. Schach
könnte eine dieser wünschenswerten Fähigkeiten sein, die sich Kinder aneignen
können.
ND: Ist “Global Chess BV” eigentlich eine große Firma – oder eher eine Art
Task Force? Wie viele Angestellte sind für „Global Chess BV“ momentan tätig?
KOK: Heute ist „Global
Chess“ ein Unternehmen mit einem kleinen Mitarbeiterstab, deren Mission es
ist, Schach attraktiver zu machen, Sponsoren zu akquirieren sowie Branding und
Möglichkeiten der Kommunikation und Außenwirkung zu generieren.
ND: Dopingskandale erschüttern andere Sportarten, jüngstes Beispiel ist die
Tour de France 2007. Ist das nicht eine unerwartete PR-Chance, Schach als den
Sport zu präsentieren, der auf jeden Fall sauber ist?!
KOK: Tatsächlich gibt es
keine vergleichbaren Skandale in der Schachwelt, schließlich können die
Spieler von chemischen Hilfsmitteln eine Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit
kaum erwarten. Abgesehen davon aber heben wir ohnehin in unserer
Marketingstrategie darauf ab, dass Schach als intellektueller Sport einen ganz
entscheidenden Vorteil aufweist: nämlich der Gesellschaft dabei zu helfen, die
Ausbildung der kognitiven Fähigkeiten ihrer Mitglieder zu fördern. Insofern
profitieren wir davon, dass die Wertigkeit von Schach in der Öffentlichkeit
ohnehin auf einem realtiv hohen Level angesiedelt ist.
Martina und Bessel Kok bei
Vaclav Havels Geburtstagsfeier
ND: Die FIDE spricht für geschätzt 600 Millionen Fans, die weltweit Schach
spielen. Hinzu kommen noch einmal annähernd 500 Millionen Aktive im XiangQi,
der chinesischen Version des Denksports. Zusammen sind das 1,1 Milliarden
Menschen, mithin eine potenzielle Zielgruppe, die Sponsoren
eigentlich begeistern müsste. Wäre es deswegen nicht an der Zeit, dass die
FIDE einen Dialog eröffnet mit der WXF, der World XiangQi Federation,
um beiden Organisationen im Verbund eine größere Durchschlagskraft zu
verleihen?
KOK: Ich kann nur für
"Global Chess" sprechen, die FIDE unterfällt ja nicht meinem direkten
Verantwortungsbereich. Aber ich weiß, dass der Präsident der FIDE offen dafür
ist, auch mit anderen Organisationen über Sektoren zu sprechen, wo gemeinsame
Entwicklungsarbeit geleistet und Marketing im kooperativen Verbund realisiert
werden kann.
ND: Könnte der erste entscheidende Schritt dafür ein Treffen der Großen Drei
im Weltschach sein: FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow, WXF-Präsident Timothy
Fok und Sie, Herr Kok, als Chef von "Global Chess"?
KOK: Das ist möglich. Wir
werden sehen.