Halbzeit
bei Team-EM der Senioren
Von Dagobert Kohlmeyer
Karneval in
Dresden, aber ohne Pappnasen und Kostümen, sondern am Schachbrett. Es ist
Halbzeit bei der europäischen Mannschafts-EM im Ramada Hotel. Schon zum 9. Mal
rauchen in diesem Februar die Köpfe der Oldies bei ihren kontinentalen
Titelkämpfen. Dirk Jordan und sein Organisationsteam freuen sich über den
Teilnehmerrekord von 52 Mannschaften. „In dem Turnier ist richtig Pfeffer drin“,
sagt der Chairman der Schacholympiade 2008.
Gespielt
wird wie immer an je vier Brettern, die Favoritenteams kommen traditionell aus
Russland, der Schachnation Nr. 1. Neben Titelverteidiger Moskau trumpften in den
ersten Tagen besonders die Teams VIS Odessa und Rostow am Don auf. Die Führung
wechselte mehrmals. Nach drei Runden lag Rostow vorn, am vierten Spieltag
übernahm Odessa die Spitze, weil die Mannschaft „Stiller Don“ gegen Deutschland
2:2 spielte.
Das deutsche
Quartett wird von Großmeister Wolfgang Uhlmann angeführt. Die Dresdner
Schachlegende hat an allen bisherigen Europameisterschaften der Senioren
teilgenommen. Schon zweimal (2004 und 2005) gewann Deutschland den Titel. Trotz
der harten Konkurrenz scheint dieses Jahr eine Medaille möglich.
Star der
Veranstaltung ist und bleibt Viktor Kortschnoi. Als stärkster Spieler des ganzen
Turniers sitzt er wie gewohnt am Spitzenbrett der Schweizer und holte bisher
vier Punkte aus fünf Partien, das heißt, er gab erst zwei Remis ab. Im Vorjahr
holten die Eidgenossen Silber. Daraus wird dieses Mal nichts, sie haben nur
einen Kortschnoi. In Runde 3 konnte Viktor beim Kampf gegen die Finnen
erfolgreich Revanche bei Heikki Westerinen nehmen, der in im Vorjahr in Dresden
besiegt hatte.
Kortschnoi,V - Westerinen,H
[E84]
[Runde_3]
1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7
4.e4 d6 5.f3 0–0 6.Le3 Sc6 7.Sge2 Tb8 8.Dd2 a6 9.Tc1 Ld7 10.Sd1 b5 11.c5 dxc5
12.Txc5 e6 13.g3 De7 14.Lg2 Tfc8 15.Sf2 e5 16.d5 Sd8 17.f4 Sb7 18.Tc1 Sg4
19.Sxg4 Lxg4 20.0–0 Sd6 21.Lc5 De8 22.b3 exf4 23.Sxf4 g5 24.Sd3 Sxe4 25.Lxe4
Dxe4 26.Sb4 Td8 27.Sc6 Kh8 28.Tce1 Dg6 29.Sxb8 Txb8 30.Te7 f6 31.Ld4 Tf8 32.Txc7
Lh3 33.Te1 Df5 34.d6 h6 35.Df2 Dd3 36.De3 Df5 37.De4 Dxe4 38.Txe4 Td8 39.Tee7
Txd6 40.Lc5 1–0
Zur Halbzeit
im Ramada Hotel gab am heutigen fünften Spieltag wieder einen Führungswechsel.
Das Quartet aus Moskau gewann gegen die Mannschaft VIS Odessa 2,5:1,5 und
übernahm mit 10:0 Punkten die Tabellenspitze. Jakow Murey, das erste Brett der
Unterlegenen, machte daraufhin erstmal ein Nickerchen in der Hotellobby.
Jakow Murey
Am ersten
Brett sitzt Jewgeni Wasjukow. Der fast 74-jährige Großmeister („ich habe am 5.
März Geburtstag, es ist Stalins Todestag“) und bekennende Kettenraucher zündet
sich nach jeder Partie erst einmal eine Papyros an. (siehe Foto).
Die
Moskowiter haben als einziges Team bisher alle Kämpfe gewonnen, auch wenn sie
nicht die meisten Brettpunkte erzielten. Den Ausschlag ergeben laut Reglement
am Ende die Mannschaftspunkte. Held des Tages war Großmeister Oleg Chernikow,
der am vierten Brett in einem Turmendspiel den knappen Sieg für die Russen
sicherstellte.
Oleg Chernikow
Nicht
zufrieden war am dicht umlagerten Nachbartisch Viktor Kortschnoi. Das Schweizer
Schachidol spielte im Kampf seines Teams gegen Stiller Don als Schwarzer mit
Vitali Zeschkowski, einem früheren WM-Kandidaten. In der Schottischen Partie
versuchte Kortschnoi alles, um den vollen Punkt zu erzielen, schaffte es aber
mit Dame gegen Turm und Läufer nicht. Das Remis nach fünfeinhalb Stunden und 65
Zügen half der Schweiz nicht viel, sie verlor den Vergleich und fiel auf Platz
14 im Klassement zurück.
Kopfschüttelnd und laut gestikulierend wollte Kortschnoi die Partie noch im
Spielsaal analysieren, so dass Turnierleiter Dr. Gerhard Schmidt den 75-jährigen
Großmeister um Ruhe bitten musste.
In den
Analyseraum wollte Viktor der Schreckliche nicht, seine Gattin Petra zog ihn mit
sanfter Hand aus dem Saal.
Das Team
Deutschland trennte sich zuletzt gegen die SG Leipzig überraschend 2:2 und büßte
dadurch einen wichtigen Mannschaftspunkt ein, der im Kampf um die Medaillen am
Ende vielleicht fehlen könnte. Wolfgang Uhlmann und Hajo Hecht spielten vorn
remis,
Hajo Hecht
aber Klaus
Klundt verlor gegen Detlef Neukirch in einem Läuferspiel. Burkhard Malich konnte
durch einen Sieg am vierten Brett gegen Heinz Böhlig das Unentschieden retten.
Burkhard Malich
Schon im
Vorjahr hatte man sich gegen die Leipziger schwer getan und auch nur 2:2
gespielt.
Die deutsche
Mannschaft hat jetzt 8:2 Punkte und liegt derzeit hinter Moskau (10:0) Rostow
(9:1) punktgleich mit Odessa (8:2) auf dem vierten Tabellenrang. Noch sind bei
der Team-EM der Schachsenioren vier Runden zu spielen und damit sicher auch
weitere Überraschungen möglich. Die Spitzenpaarung am Mittwoch lautet: Moskau –
Rostow.
Ältester
Teilnehmer der Senioren-EM ist der Engländer Robert Wade, der im April 86 Jahre
wird.
Er ist
Stammgast in Dresden, spielte bisher dreimal remis und verlor nur eine Partie
gegen Senioren-Exweltmeister Shabanow aus Moskau. Wie Bob Wade uns erzählte, ist
er schon 1949 bei den ersten internationalen Schachturnieren in Deutschland nach
dem zweiten Weltkrieg gestartet. „Das war in Heidelberg (Platz 6) und Oldenburg
(Platz 10). In Heidelberg gewann Wolfgang Unzicker, Lothar Schmid war auch
dabei. In Oldenburg spielte Jefim Bogoljubow mit und wurde Zweiter“, erinnert
der Londoner sich. Zur Olympiade möchte er nächstes Jahr auch gern nach Dresden
kommen. Für England hat Bob Wade
sieben Schacholympiaden als Aktiver bestritten. Die letzte
1972 in Skopje. 1992 in Manila war er Hauptschiedsrichter.
Noch immer hält der stets zu Späßen aufgelegte
Schachveteran die englische Flagge hoch (siehe Foto).