"Fehler
werden vom Computer gnadenlos bestraft“
Interview mit Schachweltmeister Wladimir Kramnik
Von
Dagobert Kohlmeyer
Wladimir Kramnik aus Russland spielt ab Samstag in Bonn gegen das
Computerprogramm „Deep Fritz“ um eine Million Dollar. Schirmherr ist
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, Hauptsponsor die Ruhr AG Essen. Steinbrück
und RAG-Vorstandvositzender Werner Müller führen den ersten Zug aus. Gewinnt
Kramnik, dann wird seine Antrittsgage von 500 000 Dollar verdoppelt. Nach seinem
WM-Erfolg gegen den Bulgaren Topalow in Elista eine weitere Herausforderung für
den besten Spieler des Planeten. „Das Duell wird brutal und ganz anders als
gegen einen menschlichen Rivalen“, weiß Kramnik aus eigener Erfahrung.
Herzlichen Glückwunsch noch einmal zum WM-Titel! Was für ein Gefühl war es, zum
dritten Mal die Schachkrone zu erringen?
Vielen Dank. Diese Emotionen sind nicht neu für mich. Es war ja nicht das erste
Mal, dass ich ein WM-Match gewann. Die Gefühle waren nicht ganz so stürmisch wie
im Jahre 2000, als ich Kasparow entthronte. Aber nach dem schweren Kampf habe
ich mich natürlich gefreut, wieder gewonnen zu haben.
Wann warst du überzeugt, ich schaffe es?
Das Duell war sehr eng, so dass ich erst nach dem letzten Zug sicher sein
konnte. Ich habe meinen Gegner zum Glück am Ende überspielt. Geholfen hat dabei,
dass ich immer fest an meinen Sieg geglaubt habe.
Welches war der schönste Augenblick im Match?
Nach
Beendigung der letzten Partie, als die Spannung von mir abfiel.
Und der schwerste Moment?
Emotional
sehr unangenehm war die „technische Pause“ nach den unschönen Manövern meines
Gegners. Als ich die fünfte Partie kampflos verlor, war das natürlich keine
einfache Situation.
Wie denkst du im Abstand von acht Wochen über Toiletten-Gate?
Mein
Standpunkt ist unverändert, dass sich mein Gegner nicht korrekt verhalten hat.
Sicher war meine Reaktion damals sehr emotional, weil die andere Seite sich so
unfair aufgeführt hat. Ich hake jedoch die negativen Dinge des Matchs in Elista
jetzt ab und konzentriere mich auf meinen Wettkampf in Bonn.
Der größte Teil der Schachwelt stand während der WM hinter Dir.
Wie viele Gratulationen hast Du bekommen?
Ich habe
sehr viel Post erhalten. Darunter waren sehr originelle Glückwünsche. Zum
Beispiel schrieb mir ein Chirurg, dass er zu spät zu einer Operation kam, weil
er erst den Ausgang der letzten Tiebreakpartie verfolgen wollte.
Wie hat die große Schachnation Russland dich gefeiert? Hast du
Glückwünsche von Wladimir Putin erhalten?
Persönlich
hat der Präsident nicht gratuliert, aber ich war zwei Tage in Moskau, und sie
haben mich dort bei einem offiziellen Empfang entsprechend gewürdigt.
Hat Garri Kasparow sich irgendwie geäußert?
Ich habe nichts davon gehört.
Das Match in Elista kostete sehr viel Kraft. Wie hast du dich von den Strapazen
erholt und auf Deep Fritz vorbereitet?
Besonders erholen konnte ich mich nicht, das wird erst Ende des Jahres möglich
sein. Gleich nach dem Duell in Elista habe ich mit der intensiven Vorbereitung
auf Deep Fritz begonnen. Dazu gehörte das Trainingslager im Saarland.
Hast du jetzt noch genug Power für das Duell gegen die Maschine?
Die Partien werden es zeigen. Natürlich war ich nach dem schweren WM-Kampf sehr
müde, aber ich denke, meine Physis ist stabil genug. Ich fühle mich ganz gut und
hoffe, dass die Kräfte gegen das Monster reichen. Unabhängig davon, ist der
Gegner furchtbar spielstark.
Wer gehört beim Kampf gegen „Fritz“ zu deinem Team?
Es sind andere Helfer, eine große Mannschaft ist diesmal nicht nötig. In Bonn
unterstützen mich zwei engagierte Fachleute: Großmeister Christopher Lutz aus
Köln und der Computerspezialist Stefan Meyer-Kahlen.
Rechnest du dir mehr Chancen aus, weil du mit Stefan Meyer-Kahlen einen
Programmierer im Boot hast?
Das ist sicher ein Vorteil. Für dieses Duell ist größeres Computerverständnis
wichtiger als irgendeine theoretische Eröffnungsvorbereitung. Deshalb setze ich
auf Spezialisten. Stefan hat das hervorragende Schachprogramm „Shredder“
entwickelt, und Christopher ist ein starker Großmeister, der mich bereits vor
vier Jahren in Bahrain mit viel Computerwissen bei meinem 4:4-Match gegen den
Vorgänger von „Fritz“ unterstützt hat.
Ahmed Al Fatih Moschee
Bahrainis beim Damespiel
Eröffnung mit Jagdfalken
Kramnik, Kronprinz Salman, Friedel
Kramnik mit Kids
Kramniks Ruheraum in Bahrain
Du hast 2002 im Golfstaat Bahrain diverse Erfahrungen gegen „Deep
Fritz“ gesammelt. Was wird in Bonn anders sein?
Der Gegner ist nicht mehr der gleiche. Das Schachprogramm ist viel stärker, auch
der Computer, auf dem es läuft. In Bahrain rechnete die Maschine vier Millionen
Züge pro Sekunde durch, jetzt schafft sie acht bis zehn Millionen - das heißt,
sie ist mehr als zweimal schneller. Ich habe aber aus dem Match in Bahrain
gelernt und werde versuchen, meine dortigen Fehler nicht zu wiederholen.
Damalige Hardware
Großmeister in Bahrain: King, Hodgson und Lutz
Also kein Springeropfer mehr auf f7, wie damals im 6. Spiel?
Besser nicht (lacht). Es hängt ganz von der Situation ab. Wenn ich aber der
Meinung bin, es ist richtig, werde ich vielleicht auch wieder eine Figur opfern.
Matthias Feist gestresst
Partiebeginn
Der emotionslose Computer erlaubt dem Menschen keinen Fehltritt. „Fritz“ hätte
in der zweiten WM-Partie von Elista kein Matt in drei Zügen übersehen wie
Topalow!
Das ist
richtig. Im Match gegen einen Computer darf man sich keine Blöße geben. Sie
würde gnadenlos bestraft. Man muss versuchen, taktische Stellungen zu vermeiden,
dann ist die Sache nicht so hoffnungslos.
Die Distanz gegen den „Räuber“ Fritz ist diesmal kürzer: nur sechs Partien. Wie
sieht deine Strategie aus?
Sie ist sehr einfach. Man muss jede Partie einzeln spielen und nicht auf das
Klassement schauen. Details möchte ich nicht verraten, aber ich habe genaue
Vorstellungen. Viel hängt vom Start ab. Das Match wird mit Sicherheit brutal.
Werner Müller, Wladimir Kramnik, Peer Steinbrück
RAG Vorstandsvorsitzender Werner Müller
Kramnik, Bundesfinanzminister Steinbrück
Ist dies dein letzter Kampf gegen einen Computer?
Es kommt auf das Ergebnis an. Natürlich wird es immer schwerer, gegen so
raffinierte Schachprogramme zu spielen. Man kann nicht mehr mit einem Sieg
rechnen, selbst ein Unentschieden wäre schon ein großer Erfolg. Das Duell in
Bonn wird die Frage beantworten, ob der Kampf Mensch – Maschine in Zukunft noch
Sinn macht.
Die letzten Ergebnisse führender Großmeister gegen Schachprogramme waren mehr
als ernüchternd.
Sie beweisen nur die Stärke der Maschine. Der Top-Ten-Spieler Michael Adams
verlor chancenlos gegen das Programm „Hydra“. Von sechs Partien konnte er keine
einzige gewinnen. Auch bei Computerturnieren in Spanien haben starke Großmeister
in den letzten Jahren immer den Kürzeren gezogen. Ich hoffe trotzdem, dass mein
Kampf in Bonn spannend wird und dass er noch nicht das letzte Kapitel in den
Duellen zwischen Champion und Chip ist.
Wie geht es im menschlichen Schach weiter? Wohin tendiert unsere Sportart?
Offensichtlich ist, dass Schach immer jünger wird. Großmeister wie Karjakin oder
Carlsen klopfen bereits an die Tür zum Schacholymp. Noch liegen die Spieler
meiner Altersgruppe in der Weltrangliste vorn. In ein paar Jahren jedoch wird
der Generationswechsel erfolgt sein. Weil Schach so komplex ist: nicht nur Kunst
oder Wissenschaft, sondern auch harter Sport. Dort hat die Jugend immer
natürliche Vorteile.
Wie sehen die nächsten Pläne von Wladimir Kramnik aus? Werden wir
Dich 2007 wieder öfter im Turniersaal sehen?
Nach Bonn
ist erst einmal Erholung angesagt. Die beiden Matches dieses Herbstes verlangen,
dass ich mich regeneriere. Im Januar spiele ich in Wijk aan Zee und im Frühjahr
in Monaco. Danach folgt ein Schnellschach-Event gegen Peter Leko in Miskolc und
das Turnier in „meinem Revier“ Dortmund. Mein Turnierkalender für die nächsten
Monate ist also gut gefüllt.
Du hast in den 90er Jahren lange Zeit in der Schach-Bundesliga
gespielt. Wäre das auch für dich als Weltmeister noch einmal eine
Herausforderung?
Warum nicht!
Es war als junger Großmeister immer interessant für mich. Ich habe gern für
Empor Berlin gespielt. Kurioserweise liegt mir derzeit kein Angebot vor. Ich
würde eine solche Einladung nicht von vornherein ablehnen.
Text und
Fotos: Dagobert Kohlmeyer