10.
Essent Schaaktoernooi - Hoogeveen 2006
Eva
Maria Zickelbein
Im goldenen
Oktober war es endlich mal wieder an der Zeit, einen kleinen Ausflug nach
Holland zu machen - da bot sich natürlich das 10. Essent Schaaktoernooi in
Hoogeveen an!
Neben einem
stark besetzten Open und zwei Amateurturnieren ist für die Schachfans natürlich
vor allen Dingen der traditionelle Vierkampf zwischen dem besten Spieler der
Welt, der besten Frau, dem besten Jugendlichen und dem besten Niederländer
interessant. Es gelang den Organisatoren um Jeroen van den Berg wieder einmal,
ein sensationelles Teilnehmerfeld zusammenzustellen: Veselin Topalov, mit knapp
1,5 Wochen Rekreationszeit nach der WM in Elista, Judit Polgar, die in Hoogeveen
schon große Erfolge feiern konnte und nach kurzer Babypause nach der Geburt
ihrer Tochter im Juli diesen Jahres wieder ans Schachbrett zurückkehrte,
Shakhryar Mamedyarov, bärenstarker Vertreter der Jugend und Ivan Sokolov, bester
Niederländer. Mit einem Schnitt von 2724 und Kategorie 19 ist dieses Turnier
sicher eines der stärksten in diesem Jahr!
Traditionell findet das Turnier im Rathaus von Hoogeveen statt:
Hauptsponsor des Turniers ist seit vielen Jahren der Energiekonzern Essent, der
natürlich auf bei der Flaggenparade vor dem Rathaus präsent ist:
Eine
Besonderheit sind aber sicherlich die beiden Turnierbusse, in denen die
Teilnehmer von den umliegenden Hotels und Campingplätzen zum Turnier chauffiert
werden:
Heute
sichteten wir sogar Topalov und sein Team in einem der Busse, ein Schnappschuss
gelang mir aber leider nicht…
Weltklasseschach – und das noch ganz umsonst!
Auch im
Rathaus ist alles auf Schach ausgerichtet:
Empfangs- und Informationstresen.
Die
aktuelle Berichterstattung in der regionalen Presse ist wirklich beeindruckend!
Auch
kulturell dominiert Schach an diesem Wochenende in Hoogeveen: Die beiden
Aufführungen des Musicals Chess von Abba werden bestimmt nicht nur Chess-Nerds
ins Theater locken…
Auch für die armen Raucher ist gesorgt: Im Innenhof ist ein „Rauchgarten“
eingerichtet, in dem sich die Süchtigen mehr oder weniger regelmäßig versammeln.
Neben
diesem Schachturnier für prominente Bürger Hoogeveens läuft der normale Betrieb
an den Schaltern des Rathauses weiter: Die Menschen beantragen Ausweise,
Unterstützung oder informieren sich ganz einfach.
Die Kantine des Rathauses wurde zum Schaakcafé umfunktioniert, in dem täglich
die Partien der Kronengruppe kommentiert werden:
Sehr
humorvoll kommentiert Lex Jongsma, entführt die Zuhörer an die Ursprünge des
Schachs und würzt seinen Vortrag mit vielen interessanten Anekdoten.
Der
ehemalige niederländische Meister IM Gert Ligterink hat jeden Samstag eine
Kolumne in der großen Tageszeitung Volkskrant. In diesem Jahr zog er sich
zwar vom aktiven Schach zurück, doch fesselt seine Zuschauer dadurch nicht
minder.
Direkt
neben dem Spielsaal des Opens findet hinter in einer Art Glaskasten die
Kronengruppe statt:
Die
Zuschauer kleben an den Glasscheiben und sitzen in zwei Reihen mit im Raum. Die
Züge werden von fleißigen Helfern auf große Demo-Bretter übertragen und die
Partien sind außerdem auf zwei Brettern am Schiedsrichtertisch zu verfolgen:
Schiedsrichter im Open ist IM Rob Hartoch, der auch schon seit vielen Jahren
immer wieder gern wiederkommt!
Hinter den
Zuschauern hat sich Topalovs Manager Danilov postiert, der während der Partien
im ganzen Gebäude herumtigert und nur ab und zu einen Blick auf die Partie
seines Schützlings wirft. Übrigens ist das Toilet-Gate durchaus auch schon dazu
geeignet, darüber Witze zu machen: Sowohl zwischen Judit Polgar und Veselin
Topalov war dies schon ein Thema, als auch im Presseraum in Anwesenheit von
Manager Danilov – der zum Glück kein Niederländisch versteht (siehe auch
www.doggers-schaak.nl)...
Veslin
Topalov zuversichtlich vor seiner Partie in der fünften Runde gegen Ivan Sokolov.
Die andere
Paarung der fünften Runde lautete Judit Polgar gegen Shakhriyar Mamedyarov. Alle
Fotographen stürzten sich beim Eintreffen der Stars augenblicklich auf diese
Paarung, weil Judit das Turnier sensationell mit einem Punkt Vorsprung anführte!
Auch Judit
Polgars Ehemann mischte sich unter die Fotographen, um Bilder für das
Familienalbum zu machen.
Leider
wurde es kein so guter Tag für seine Ehefrau – Judit opferte in einem Spanier im
18. Zug eine Figur und bekam leider nicht genug Gegenspiel. Im Presseraum, in
dem ich mich freundlicherweise niederlassen und im Netzwerk der Organisatoren
arbeiten durfte, wurde mit Hilfe diverser Engines fleißig analysiert – und
nebenbei natürlich auch an der Internetseite, am Bulletin usw. gearbeitet. Die
Atmosphäre ist sehr nett und entspannt – typisch niederländisch halt - und es
war eine Freude, bei einem solchen Turnier hinter den Kulissen zu Gast sein zu
dürfen!
Blick in die Perskamer von Hoogeveen. Rechts Laura Bensdorp neben Pressechef Tom
Bottema und Cora van der Zanden.
Analyse auf Russisch: Judit Polgar und Shakhriyar Mamedyarov bei der Analyse im
Presseraum. Durch seinen Sieg in der fünften Runde schloss der junge
Aserbeidschaner zur bis dato führenden Judit Polgar auf – nach
Rating-Performance ist er sogar erster!
Shakhriyar Mamedyarov und seine Schwester Zeinab bei der Analyse…
…während die kleine Schwester Turkan noch arbeiten muss:
Letzte
Runde in der Kroongroep des Essent Schaaktournooi: Shakhryar Mamedyarov gegen
Ivan Sokolov und Veselin Topalov gegen Judit Polgar.
Und diese
letzte Runde hatte es noch einmal in sich: Fast sechs Stunden dauerten beide
Partien, bis sich sensationell Judit Polgar mit Schwarz gegen Ex-Weltmeister
Veselin Topalov durchgesetzt hatte und sich der unglückliche Ivan Sokolov im
Bauernendspiel Shakhryar Mamedyarov geschlagen geben musste.
Austausch
der Partieformulare zur Unterschrift: Veselin Topalov hat seine Stellung gegen
Judit Polgar überreizt und besiegelte so die Doppel-Null gegen die stärkste Frau
aller Zeiten.
Schlussstellung: Nach 56. … f5 gab Topalov auf.
Um danach
zur Partie Mamedyarov gegen Sokolov hinüberzugehen, in der nach 51. g5! (der
weiße König steht auf b3) der Aserbeidschaner ein gewonnenes Bauernendspiel
erreicht hat.
Judit
Polgars war währenddessen schon unterwegs zum Presseraum, um fleißig Autogramme
zu schreiben: Und sich natürlich über das sensationelle Resultat von 4,5 aus 6
in einem solchen Weltklassefeld zu freuen:
Durch die
Niederlage gegen Mamedyarov ist Judit Polgar zwar „nur“ Zweite, doch das wird
ein kleiner Wehrmutstopfen sein: Hier freut sie sich mit GM Ian Rogers (rechts).
Weitere
Fotos:
Echten,
Vacantiepark Westerbergen:
Viele
Teilnehmer wohnen etwa sieben Kilometer entfernt im Vacantiepark Westerbergen in
Echten. Echten ist ein wirklich großes Dorf, das gerade seine 825-Jahr-Feier
beging: Zwischen dem Ortseingang- und Ausgangschild liegen ca. 300 Meter. Die
Organisatoren haben hier einige Bungalows gemietet, in denen vor allen Dingen
niederländische Nachwuchsspieler untergebracht sind. So gibt es ein
Utrecht-Haus, in dem die Spieler des Jugendteams (www.jeugdteam.nl)
aus der ersten niederländischen Liga wohnen, ein Mädelhaus mit den
Bensdorp-Schwestern Marlies und Laura, Arlette van Wersell und einigen
Austaliern, sowie ein Apeldoorn-Haus, in das sich neben den Merijn van Delft,
Freddie van der Elburg und Stefan Kuipers auch der Berliner Steve Berger
eingeschlichen hat.
Das Wetter
war die meiste Zeit so gut, dass sogar draußen „lekker gevoetbald“ werden
konnte:
IM Merijn
van Delft, der australische IM David Smerdon und der Utrechter IM Thomas
Willemze: Voller Einsatz vor dem Tor!
Bald-IM
Robert Ris steigt zum Kopfball hoch: Roeland Pruijssers aus Apeldoorn im Tor
erwartet den Ball – doch wo ist er??
Links geht
Ali Bitalzadeh, der in der 8. Runde GM Rasul Ibrahimov schlug und vor der
letzten Runde die IM-Norm schon sicher hat, mit einem unwiderstehlichem Solo.
Torwart GM Jan Werle ist machtlos und IM Merijn van Delft trabt etwas
unmotiviert in die Abwehr zurück – auf jeden Fall zu spät…
Der
ehemalige Hamburger und Wahl-Berliner Steve Berger ist dafür bekannt, dass er
gern mit Kopfbedeckung am Schachbrett sitzt. In Hoogeveen führte seine Mütze
allerdings zu einiger Irritation als er, aus dem Raucher-Garten zurückkommend
und durch den Spielsaal schlendernd, vom Schiedsrichter als verdächtiges Subjekt
ausgemacht wurde und gefragt wurde, was er denn hier wolle.
Als er dem
Schiedsrichter dann sein Brett zeigte, löste sich alles in Wohlgefallen auf und
Steve erfuhr später, dass in den Niederlanden eigentlich nur „Problemkinder“
eine Mütze tragen…
Schachlegende Vlastimil Hort.
Elo-Favorit
Mikhail Gurevich findet sich vor der letzten Runde in der Vorfolgergruppe wieder
und konnte nach dem schnellen Remis an Tisch 1 in der Paarung Evgeny Postny,
Evgeny gegen Ivan Cheparinov mit einem Sieg gegen Ali Bitalzadeh
nur noch den geteilten
dritten Platz erreichen.
Topalovs
Sekundant Ivan Cheparinov begnügte sich in der letzten Runde mit einem schnellen
Remis gegen Verfolger Postny. Nun hing es vom Ausgang der niederländischen
Paarung an Tisch 2, Jan Werle gegen Erwin L’Ami, ab, ob er alleiniger
Turniersieger sein wird oder ob einer der jungen Niederländer zu ihm
aufschließen kann.
GM Erwin
L’Ami – nach einem überzeugenden Turnier mit Niederlage in der letzten Runde
gegen Landsmann Jan Werle.
GM Jan Werle aus Groningen schlug in der achten Runde seinen Groninger Freund GM
Sikpe Ernst und in der neunten Erwin L’Ami starkes Finish und geteilter
Turniersieg – Glückwunsch!
Sipke Ernst erspielte sich vor zwei Wochen beim Europacup in Österreich seine
letzte GM-Norm – herzlichen Glückwunsch!
Bisher
nicht das Turnier von WIM Marlies Bensdorp, die für den Hamburger SK in der
Frauen-Bundesliga aktiv ist.
GM Zaoquin
Peng spielte ein tolles Turnier - mit 5 aus 8 musste sie in der letzten Runde
gegen GM Ian Rogers antreten und verlor.
GM Ian Rogers.
7. Runde im
Amateurturnier 1: Heijme Breederveld gegen Lidy Paalman-Schonewille, deren
Blindenhund treu auf den Ausgang der Partie wartet und sich auch von der
aufdringlichen Fotografin nicht stören ließ:
Kleine
Erfrischung zwischendurch…
…aber
manchmal ist Schach schon ziemlich langweilig: