Interview mit Hans-Walter Schmitt

von ChessBase
07.10.2006 – Hans-Walter Schmitt ist mit seinen Chess Classic einer der erfahrensten Turnierveranstalter in Deutschland. In einem Interview äußert er seine Ansichten zu den Vorgängen beim Wiedervereinigungswettkampf in Elista aus der Sicht des Organisators. Die Einsicht "bad news are good news" gilt laut Schmitt nur für die Journalisten. Das Schach und die Organisatoren hätten durch Skandale keinerlei Vorteile. Nur ein sauberer Sport könne für Sponsoren attraktiv sein. In diesem Sinne hatten die Doping-Vorwürfe des Topalov-Teams dem Schach sehr geschadet. Allein der Verdacht, im Schach würde mit unerlaubten Hilfsmitteln gearbeitet, würde die Sponsoren bereits fernhalten. Die FIDE ist aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die Glaubwürdigkeit des Schachs zu erhalten. Dies wäre schon in der Vergangenheit erforderlich gewesen. Stattdessen hätte die FIDE sich unsinnigerweise um den Dopingkatalog für körperliche Sportarten gekümmert. Zu den Chesstigers...Interview mit Hans-Walter Schmitt...

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Donnerstag, den 5.Oktober 15:00 Uhr MEZ

Sie sind ein renommierter Veranstalter, was sagen Sie zu ihren Kollegen von der FIDE in Elista.

Aus der Distanz sich ein Urteil zu bilden ist immer schwierig, aber wenn man die Fakten, die Konversation zwischen den Parteien und die Haltung des eindeutig nicht neutralen Veranstalters FIDE in Elista ansieht, muss man Folgendes aus Sicht der FIDE berücksichtigen: 1. man hat einen eigenen Weltmeister namens Topalov und 2. einen „weißen“ feindlichen Ritter namens Weltmeister Vladimir Kramnik. Die Fidegesellen Makropolus, Azmaiparashvilli, Gijssen, Vega, Kutin und Gasanov sind sich ihrer Taten vielleicht gar nicht so richtig bewusst. Das ist in diesem Teil der Welt doch so üblich mit Bakschisch und Vorteilsnahme im Amt. Der generelle Fehler ist im Übrigen, dass der Kampf in Elista ausgetragen wird, weil kein einziger internationaler Sponsor mehr zu finden war. Sie hätten in Reykjavik, Berlin, Paris, London, Madrid, New York, Rio de Janairo oder Sydney spielen sollen, wenn Schach wirklich seriös betrieben würde, gäbe es auch große Sponsoren. Dann wäre die öffentliche Kontrolle durch die Medien und Gremien auch viel effektiver.

Aber durch solche Aktionen kommt man doch wieder auf die Titelseiten des Gazetten z.B.: Wall Street Journal – das ist doch genug Kompensation für das Schach.

„Bad news are good news” das wissen alle Zeitungsleute! Ein Mord auf der Schachbühne, haltlose Beschuldigungen oder gar Verleumdungen, der Veranstalter streckt den Weltmeister in der Pressekonferenz mit einem Faustschlag nieder. Solche Sachen sind nur temporär interessant für die Presse, bringen aber letztendlich eine edle Sportart in Verruf und bringen niemals eine nachhaltige Verbesserung für eine Sportart oder gar Marktanteile. Dopingverdacht killt Sponsoren!

Was bringt denn was fürs Schach.

Ein ehrlicher Kampf, gut organisiert, live zu sehen in aller Welt, fair und spannend ohne jeglichen Verdacht des elektronischen Dopings. Souveräne Veranstalter mit professionellem Turniermanagement, die unabhängig von jeder Einflussnahme der Protagonisten sind, die absolut gleichen Chancen jedem Teilnehmer garantieren. Klare, zeitliche langfristig wirkende Regeln mit Terminen und kalkulierbare Qualifikations- und WM-Kämpfe. Schach hat alles, was das Zuschauen spannend machen kann: bekannte Regeln weltweit, hohes Ansehen bei Laien und Geschäftsleuten, Leistungserbringung unter Zeitdruck, usw.

Die ersten zwei Partien waren Werbung für das ganze Schach, es kam schon richtig Euphorie in den Schachklubs auf. Der Kampfgeist unter den Protagonisten, vielzügige spannende Partien, das Fiebern um den Ausgang des gesamten Wettkampfes. Der von allen Schachfreunden geliebte oder gar verehrte Kämpfer Topalov mit seinem fantasievollen modernen Schach wurde ausgekontert von einem staubtrockenen  Positionsspieler. Kramnik spielt die Wahrheit, kein Trickschach, keine Schnörkel, keine Show für die Galerie, nur klares geradliniges und auf Erfolg getrimmtes rationales Schach.

Wieso ist schon allein der Dopingverdacht so ein schlimmes Gift.

Die FIDE hat sich jahrelang, um physikalisch wirkendes Doping gekümmert mit zuviel Kaffee und Tee, Beta-Blockern, Epo, Anabolika und noch anderen Dingen, die im körperlichen Sport leistungsfördernd sind, aber im Denksport Schach überhaupt nichts bringen, also auch nicht verboten werden müssen. Auf das elektronische Doping bei 7-Stunden-Schach Partien haben Sie überhaupt kein Wert gelegt, außer die Handybenutzer unter Generalverdacht zu stellen. Dieser Wettkampf stellt den ganzen Turnierschachsport unter Generalverdacht, egal ob Open, Mannschaftskämpfe, Klubmeisterschaften, überall wo Leute von Ihrem Brett aufstehen können und sich unbeaufsichtigt bewegen können, wird die Vermutung, dass er betrügt linear steigen mit der Güte und der Fehlerlosigkeit seiner Partie. Dies ist absolut fatal und schreckt Geldgeber ab, die wollen Geld investieren für sauberen Sport, für aufregenden und spannenden Sport, für Sport mit offenem Ausgang eines Wettkampfs. Was das bulgarische Team als psychologische Waffe benutzt hat, um Kramnik aus der Fassung zu bringen, kommt einem Bumerang gleich.

Wie könnte das aussehen mit dem Bumerang.

Für das Team Topalov: zum Beispiel könnte ein Expertenteam jetzt einmal untersuchen, wie ein jahrelang im Turniergeschäft tätiger erfahrener Spieler plötzlich im gesetzten Alter von 30 Jahren nicht mehr eine Leistung von 2730-2740 bringt, sondern konstant über 2800 spielt mit unglaublichen Serien von Siegen in San Luis, Morelia/Linares und Sofia. Bei den Schnellschachturnieren in Leon und Monaco spielt er nur wie ein mitttelmäßiger 2700er und in Mainz gegen Anand tritt er erst gar nicht an. Für die Schachwelt ist der weitere Niedergang der Sponsorfreundlichkeit zu erwarten.

Was kann man tun, um diesen Trend aufzuhalten.

Aufklären und konsequente Maßnahmen ergreifen. In Turnieren prophylaktisch tätig werden. Wer beim Betrügen erwischt wird, wird mindestens für zwei Jahre überall gesperrt und kommt auf eine Liste. Die zweite Variante ist „schneller“ zu spielen und die dritte Variante ist alle Vorbereitungen auszuhebeln mit Chess960 – dies Art Schach zu spielen wird schneller kommen, als heute noch viele glauben wollen.

Aber was macht man mit dem Topalov-Team, dass offensichtlich die Mittel der Diskreditierung und Verleumdung benutzt, um den russischen Weltmeister Vladimir Kramnik aus der Fassung zu bringen und zwar mit Erfolg. Einen Punkt haben sie ja schon Kramnik gestohlen, also scheint die Methode zu greifen.

Ok, der Attackierende ist erstmal im Vorteil, er besitzt das Überraschungsmoment, aber nur so lange, bis die Gegenseite die richtigen Maßnahmen gefunden hat. Die einzigen Maßnahmen, die helfen, sind den Gegner an der Basis zu entzaubern mit klaren juristischen und praktischen Maßnahmen oder ihm einfach die Maske vom Gericht reißen. Oft ist es auch so, dass sich diese Leute selbst entzaubern.

Der Prozess der Entzauberung hat ja schon eingesetzt mit dem Solidarprinzip der Internetbenutzer und der Kollegen Großmeister. 100 Großmeister auf Kramniks Seite, keiner auf Topalovs Seite. Veselin Topalov hat viel von seinen Sympathiewerten eingebüsst und wird sie nie wieder zurück gewinnen. Sollten aber seine Behauptungen richtig sein, ist Vladimir Kramnik erledigt und sollte auf Lebenszeit gesperrt werden. Ich stehe allerdings nach der Faktenlage eindeutig auf Kramniks Seite.

… das kann doch noch nicht alles sein, als internationaler Veranstalter hat man doch auch Macht?

Das ist ein sehr präziser Einwand. Ja, die Veranstalter in Wijk aan Zee, Morelia/Linares, Monaco, Dortmund, Mainz und Korsika könnten einen lauten Protest oder auch nur einen stillen Boykott dem Team Topalov androhen, wenn er nicht sofort diese haltlosen Beschuldigungen und diese Mäzchen einstellt. Eine zweijährige Nichteinladung zu den Turnieren würde ihn wahrscheinlich an seiner empfindlichsten Stelle treffen – also am Geldbeutel. Außerdem könnten einige seiner Top Ten Kollegen das Danailov-organisierte Turnier in Sofia boykottieren.

Wer gewinnt in Elista?

Der Attacker oder der, wie eine falsche Schlange, Agierende ist eindeutig im Vorteil, also Topalov! Der haltlos beschuldigte und bestohlene Spieler ist in einem riesigen Dilemma und wird normaler Weise verlieren. Ich stehe auf der Seite Kramniks, aber ich befürchte das Topalov die besseren Karten jetzt hat und Danailov nachher prahlt mit seiner diffizilen Taktik und schäbigen Machenschaften.

Was hätten Sie als Manager von Kramnik nach der fünften Partie mit der Wertung 3:2 gemacht!

Wahrscheinlich kann das Team Kramnik aus juristischen Gründen, Verträge, Sanktionen, Schadensersatzansprüche, etc. nicht anders handeln, ich hätte trotzdem alle sieben Sachen gepackt und mit einer 3:1 Führung abgereist. Vor diesem abgekarteten Spiel hätte meinen Weltmeister geschützt und mit Ihm und seinen Freunden versucht eine westliche Opposition aufzubauen mit einem Wettbewerber für die FIDE. Fatal würde ich es jetzt zusätzlich empfinden, wenn das bulgarisches Kaissa-Management auch noch den Grand Prix der klassischen westlichen Turniere Corus & Linares unter seine Fuchtel bekommt.

Vielen Dank für das Gespräch, Donnerstag, den 5.Oktober 15:00 Uhr MEZ

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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