Naiditsch will "eine Schippe drauflegen"
von Hartmut Metz
Deutsche Nummer eins spielt in Mainz um U20-WM im Chess960
Arkadij Naiditsch und der Deutsche Schachbund (DSB): Eine große Liebesgeschichte
wird es wohl nie werden. Immerhin rauften sich die Beteiligten endlich zusammen,
und der gebürtige Rigaer vertrat nach zehn Jahren in seiner neuen Heimat die
deutsche Nationalmannschaft bei der Schach-Olympiade. Die Nummer 46 der Welt
bewies in Turin am Spitzenbrett, dass er mit den ganz Großen der Zunft mithalten
kann. Dies möchte der 20-Jährige auch wieder bei den Dortmunder Schachtagen
(29. Juli-6. August) zeigen, bei denen er vor der eigenen Haustür die Elite
2005 sensationell hinter sich ließ. Anschließend tritt die deutsche Nummer eins
bei den Chess Classic Mainz (15.-20. August) an. Mit Arkadij Naiditsch, der
bereits mit 15 Großmeister wurde, unterhielt sich Hartmut Metz.
Frage: Herr Naiditsch, wie war es bei der Olympiade in Turin, erstmals für
Deutschland zu spielen?
Naiditsch: Wir haben sicher nicht allzu gut abgeschnitten. Wir waren an Position
14 gesetzt und belegten Platz 15. Meiner Meinung nach hätten wir weiter vorne
landen können. Mein eigenes Ergebnis möchte ich als gut einschätzen. Ich lag
vor meiner zweiten Niederlage bei einer Performance von 2780 Elo. Letztlich
lag sie knapp über 2700.
Ihr Abschneiden am Spitzenbrett war exzellent mit 6/10. Remis gegen die Ex-Weltmeister
Anand und Kasimdschanow, nur Niederlagen gegen Weltmeister Kramnik und den 15-jährigen
Schach-Mozart Carlsen, der Sie einmal mehr noch übertölpelte.
Gegen Carlsen läuft es gar nicht für mich. Schon in Wijk aan Zee hatte ich mit
einer Qualität mehr gegen ihn verloren. In Sarajevo erging es mir kaum besser:
In der ersten der zwei Partien stand ich völlig auf Gewinn und verpatzte es
ins Remis.
Glück gegen Naiditsch: Der Norweger Magnus Carlsen
Liegt es am außergewöhnlichen taktischen Geschick des jungen Burschen?
Jeder hat eben Gegner, die einem besser oder schlechter liegen. Gegen Carlsen
tue ich mir schwer, dafür ist Sergej Karjakin mein Lieblingsgegner. Gegen ihn
habe ich 5,5/6 - normalerweise kann man die nicht holen. Er spielt gegen mich
eben sehr schlecht, oder vielleicht nicht schlecht, sondern unglücklich.
Kein Glück gegen Naiditsch: Sergej Karjakin
Dann gleicht es sich für Sie wenigstens gegen die beiden Jungstars aus. Doch
zurück zum Abschneiden des Teams: Ihr Fazit mit dem geteilten elften Platz klingt
sehr enttäuscht.
Ich hoffte auf einen Platz unter den ersten Zehn, dass wir weiter nach vorne
kommen.
Weshalb wurde Ihr Ziel verpasst?
Unserer Mannschaft fehlen Profis. Die meisten meiner Mannschaftskameraden schnitten
eher durchschnittlich ab. So wird es natürlich unmöglich, ganz nach vorne zu
stoßen. Man muss jedoch Verständnis für die Zwänge aller haben, die ihr Salär
verdienen müssen.
Obwohl Sie seit zehn Jahren in Dortmund leben: Warum hat es so lange gedauert,
bis Sie endlich für die deutschen Farben antraten? Es gab einigen Knatsch.
Zunächst einmal benötigt man einen deutschen Pass, um für Deutschland spielen
zu dürfen. Den bekam ich leider spät, nach acht Jahren - das war ein bisschen
unglücklich. Der DSB hätte eigentlich mehr bemüht sein müssen, meine Einbürgerung
zu beschleunigen - hat aber leider nicht viel dazu beigetragen.
Das geht in anderen Sportarten flotter.
In der Tat, das ginge flotter.
Der Zwist ist ausgeräumt und Sie sehen sich bereit für weitere Großtaten
im deutschen Team?
Ich freue mich bereits auf die Olympiade 2008 in Dresden! Ich hoffe darauf,
dass ein paar junge Spieler nachrücken, um eine Mannschaft zu haben, die etwas
erreichen kann. Nur ein Team zu stellen, das mit dem olympischen Gedanken "Dabei
sein ist alles" antritt, ist mir zu wenig.
Mit Levon Aronjan wären die Aussichten darauf rosiger. Der Berliner war auch
kurzzeitig für den Deutschen Schachbund gemeldet. Nicht auszudenken, wenn der
Weltranglistendritte auch wie Sie für das Team von Bundestrainer Uwe Bönsch
antreten würde - so gewann Aronjan mit seinem Heimatland Armenien Gold bei der
Olympiade.
Mit ihm würde unsere Mannschaft natürlich ganz anders abschneiden, das hat Levon
in Turin gezeigt. Er ist ein guter Kerl und wollte für Deutschland spielen.
Meiner Meinung nach ist auch da viel falsch gelaufen.
"Ein guter Kerl". Levon Aronian, der in Berlin lebt und für Armenien
spielt.
Immerhin steckte Aronjan für Sie die Prügel ein bei der Olympiade: Hätte
Daniel Gormally bei der Schach-Olympiade nicht Sie attackieren müssen? Aronjans
Tanz mit der attraktiven Australierin Arianne Caoili ließ den liebes- und alkoholtrunkenen
britischen Großmeister ausrasten. Wie man sich erzählt, begleiteten Sie jedoch
Caoili mit zur Bermuda-Party.
Umkämpft: Arianne Caoili
Naiditsch (lacht): Das hat mich auch überrascht, schließlich war ich während
des ganzen Turniers mit Arianne unterwegs. Für Gormallys Attacke bestand überhaupt
kein Grund. Er hat sich wie ein englischer Hooligan im Fußballstadion benommen.
Es hätte jeden treffen können, aber ausgerechnet der arme Levon war sein Opfer!
Bei mir hätte es Gormally ruhig versuchen können - ich mache seit fünf Jahren
Karate!
Daniel Gormally: Stark genug für fünf Jahre Karate?
Bleibt die brennende Frage für Schach-Deutschland: Ist unser bester Spieler
nun auch mit der hübschen Australierin liiert?
Wir kennen uns schon seit zehn Jahren von Weltmeisterschaften. Wir spielten
bereits in Bad Wiessee gegeneinander, als ich 13 und sie zwölf war. Wir finden
uns beide sehr sympathisch.
Wollte Arianne Caoili nicht nach Deutschland kommen und hier studieren?
Ja, in Frankfurt - sie hat aber vieles vor.
Zurück zu den Damen auf dem Brett: Bei den Chess Classic Mainz treffen Sie
am 15. und 16. August (ab 15 Uhr) in der Chess960-Junioren-WM auf Pentala Harikrishna.
Wie bewerten Sie Ihre Chancen in den acht Partien? 2005 lagen Sie hauchdünn
im Open vor dem indischen Großmeister.
Im Vorjahr spielte ich nicht besonders bei den Chess Classic. Ich möchte schon
noch eine Schippe drauflegen. Auf Harikrishna bin ich noch nie in einer Turnierpartie
getroffen. Auch wenn er in der Weltrangliste knapp vor mir liegt als Nummer
25, betrachte ich mich nicht als Außenseiter. Ich gehe positiv in das Duell.
Die Aussichten dürften ungefähr ausgeglichen sein. Er hat sich in den letzten
Jahren stark verbessert.
Pentala Harikrishna
Kommt Ihnen Chess960 entgegen oder sehen Sie sich eher als Spieler, der Vorteile
in der Eröffnung herauskitzelt?
Für mich persönlich sehe ich Vorteile ohne Eröffnungstheorie. Heutzutage besteht
ein großer Teil der Arbeit darin, sich mit Eröffnungen zu beschäftigen, Neues
zu finden und sich all das auch noch zu merken. Das ist ganz schön schwierig!
Bei Chess960 fallen diese Aspekte raus, man setzt sich ans Brett und spielt.
Ich mag Chess960, obwohl ich es für eine ganz andere Art von Schach halte. Es
hat jetzt nichts mit Poker im Casino zu tun, aber Chess960 erscheint mir irgendwie
doch wie ein anderes Spiel.
Parallel treten zudem Vlastimil Hort und Lajos Portisch in der Senioren-WM
sowie Ihr weibliches deutsches Pendant, die Erfurterin Elisabeth Pähtz, bei
den Damen gegen die russische Weltranglistendritte Alexandra Kosteniuk an. Ihre
Prognosen für die Clerical Medical Chess960-Weltmeisterschaften?
Ich tippe bei den Senioren auf Portisch. Hort ist kaum noch aktiv, während Portisch
hie und da an Turnieren teilnimmt. Von der Elo-Zahl her steht bei den Damen
außer Frage, dass Kosteniuk stärker ist. Im Chess960 hat sie vermutlich geringere
Vorteile gegenüber Elisabeth.
Anschließend mischen Sie in Mainz auch wieder im FiNet Chess960 Open (17.-18.
August) und dem Ordix Open (19.-20. August) mit? Vor allem im Ordix Open trumpften
Sie auf.
Ich begann mit 6/6. Dann verlor ich mit einer Mehrfigur eine ganz wichtige Partie
gegen Aronjan. Meine Chancen hängen natürlich auch vom Teilnehmerfeld ab. Das
ist allerdings stets hochkarätig. Ich möchte wieder unter die ersten Zehn kommen.
Mehr kann man bei der Vielzahl der starken Gegner kaum sagen.
Der 19-jährige Radjabow trifft vom 17. bis 20. August bei der Grenke Leasing
Rapid-WM auf Viswanathan Anand. Sie waren als deutsche Nummer eins ebenfalls
im Gespräch. Hätten Sie sich diese Herausforderung gegen den weltbesten Schnellschachspieler
zugetraut?
Gegen die lebende Schnellschach-Legende anzutreten, ist für jeden Spieler etwas
Besonderes. Allein das wäre schon ein schönes Erlebnis. Wie das ausginge, ist
die andere Frage. Ich habe vor einiger Zeit auf Korsika Vishy gefragt, ob er
irgendein Schnellschach-Match verloren hat. Er dachte kurz darüber nach und
meinte dann: "Ich weiß es nicht genau." Dass er dann auf Korsika im Finale gegen
Vadim Milov den Kürzeren zog, war eine Sensation. Er ist der Beste im Schnellschach,
man kann ihn nur schwer schlagen.
Wie weit sehen Sie sich noch von Anand oder den Top Ten entfernt?
Ich finde, ich habe mich im vergangenen Jahr gesteigert und gut gespielt. Schwächer
agierte ich bei der russischen Mannschaftsmeisterschaft und in Sarajevo. Ich
trainiere jedenfalls fleißig dafür, die 2700-Elo-Grenze zu knacken. Sollte mir
das gelingen, muss ich weitersehen, ob ich Einladungen zu Topturnieren erhalte
und einen Sponsor finde, um mir einen eigenen Trainer leisten zu können. Die
2700-Schallmauer traue ich mir bis Ende des Jahres zu.
Vor den Chess Classic Mainz stehen die Dortmunder Schachtage an. Im Vorjahr
sorgten Sie mit Ihrem Sieg vor den Weltmeistern Wladimir Kramnik und Wesselin
Topalow sowie Peter Leko und Michael Adams für Furore. Ist diese Sensation zu
wiederholen?
Naiditsch (lacht): Ich bin bestimmt erneut nicht der Favorit, zumal ich viermal
Schwarz und nur dreimal Weiß habe. Dennoch glaube ich, ein gutes Turnier absolvieren
zu können. Ich spiele in Dortmund, in meiner Heimatstadt, sehr, sehr gerne und
gebe alles. In solchen Turnieren kann ich unheimlich viel lernen. Ich bin froh,
dass ich diese Möglichkeit habe, daran teilzunehmen. Es ist ein schönes Gefühl
für mich, in der Opern-Halle anzutreten.
Kramnik scheint sich von seinen gesundheitlichen Problemen etwas erholt zu
haben. Bei der Olympiade bewies er auch gegen Sie alte Klasse. Ist der sechsfache
Rekordsieger nun wieder Favorit in Dortmund?
Aronjan spielt auch mit, er ist enorm stark und kann jedes Turnier gewinnen.
In Dortmund kann jeder jeden schlagen. Kramnik gehört aber gewiss zu den Sieganwärtern.
Ich denke, die Chancen von Aronjan sind allerdings nicht schlechter als die
von Kramnik.
Lassen Sie uns einen letzten Ausblick wagen: Zweitligist TSV Bindlach-Aktionär
führten Sie ins deutsche Oberhaus. Was trauen Sie Ihrem Team, das mit den Großmeistern
Navara, Baklan, Bischoff, Bezold und Baramidze aufgerüstet wurde, in der Bundesliga
zu?
Wir haben meines Erachtens eine sehr gute Mannschaft, das gilt auch für das
Management mit Klaus&Klaus, Klaus Steffan und Klaus Mühlnikel. Mir macht es
Spaß, für den Verein zu spielen. Dort stimmt alles, die Atmosphäre, der Teamgeist.
Ich hoffe, dass wir um die ersten drei Plätze kämpfen.