Interview mit Mathias Feist

von ChessBase
19.05.2006 – Das Jahr 2005 brachte für Freunde des Computerschachs einige Überraschungen mit sich. Kaum jemand hätte nach der jahrelangen Dominanz der Spitzenprogramme Fritz, Shredder und Junior erwartet, dass es Amateur-Programme jemals wieder in die Weltspitze schaffen würden. Spätestens seitdem Zap!Chess im Sommer 2005 vor Shredder und Junior Weltmeister wurde, hat sich die Situation geändert. Derzeit machen Programme wie Rybka, Fruit, Toga, Spike, SmarThink usw. durch gute Ergebnisse in den Computeranglisten auf sich aufmerksam. Fritz-Programmierer Mathias Feist äußert sich in einem Interview zu der neuen Herausforderung und Perspektiven. Mehr...

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Die Vorzüge menschlicher künstlicher Intelligenz

Im Laufe des letzten Jahres haben einige ganz neue Programme beachtliche Erfolge im Spiel gegen etablierte Spitzen   programme wie Shredder oder Junior. erzielt. So konnte z.B. der Newcomer Zap!Chess den Titel des Computerschachweltmeisters 2005 erringen. War das für Sie eine große Überraschung?

Ja, das war eine Überraschung, obwohl sich schon etwas ankündigt hatte. Durch die Veröffentlichung des Source-Codes der starken Engine Fruit war natürlich klar, dass die Karten neu gemischt werden. Trotzdem ging es plötzlich sehr schnell. Zap!Chess war zur richtigen Zeit da um den Titel zu holen.

Was macht diese neuen Programme so stark?

Sie haben eine sehr gute Suche, sehen also sehr tief. Jemand hat es mal so beschrieben: kleine Bewertung, alles andere macht die Suche. Kleine Bewertung heißt nicht, dass sie schlecht ist, es fehlen nur viele Sachen. Interessanterweise können die positionell umfangreichen Engines diese Lücken bisher nicht so gut ausnutzen.


Mathias Feist im Match "Brains in Bahrain" gegen Vladimir Kramnik im Jahr 2002

Ist dadurch für die professionellen Engine-Programmierer eine neue Situation entstanden?


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Ja, wenn man einen Gegner hat der einen oft schlägt, wird man viel deutlicher auf die Probleme hingewiesen. Dieses Jahr wird spannend, da alle Profis heftig an ihren Engines arbeiten. Im Moment scheint es so zu sein, wie es früher bei Partien von Schachprogrammen gegen Großmeister war. Eine Seite (früher die GMs, heute die Profi-Engines) erreichen gute Stellungen und schaffen es nicht diese zu gewinnen, weil sie ausgerechnet werden. Die GMs haben es geschafft, ihr Spiel so anzupassen, dass sie diese Probleme zum großen Teil vermeiden können. Auch die Profi-Engines werden sich verändern und lernen, damit umzugehen.

Großmeister arbeiten bei der Analyse trotzdem nach wie vor in der Regel mit Fritz oder Shredder. Wie passt das zusammen? Haben die Schachprofis den neuesten Trend in Sachen Computerschach verschlafen?

Nein, das glaube ich nicht. Wenn man Fruit als Mustervorlage nimmt, sind diese neuen Engines positionell eher einfach gestrickt, sie leben von der guten Suche. Das macht sich besonders in Partien gegen andere Engines bemerkbar, die einfach ausgerechnet werden. Bei der Analyse, die vom positionellen Verständnis der Engines lebt, haben gerade Fritz und Shredder Vorteile, da ihre Vorschläge fundierter sind.

Auf der Grundlage welcher Kriterien muss die Frage „Welches ist das beste Schachprogramm“ überhaupt beantworten? Ist die beste Engine einfach diejenige, die in Engine-Matches die meisten Punkte holt?


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Nein, es kommt wirklich auf das Einsatzgebiet der Engine an. Man muss klar zwischen Engine-Matches und der Analyse z.B. der eigenen Turnierpartien unterscheiden. Fritz ist in allen Bereichen sehr ausgewogen, es liefert in praktisch allen Stellungen gute Resultate.

Gerade bei der Analyse der eigenen Partien ist Fritz den Newcomern überlegen. Fritz enthält über die Jahre gewachsenes umfangreiches positionelles Verständnis und viel Endspielwissen. Dazu gehören z.B. richtige strategische Einschätzungen, etwa bei Königsangriff oder –verteidigung, bei der Frage, welche Bauernstruktur vorzuziehen ist, ob und wann die Stellung geschlossen werden soll, wie das Zusammenspiel von Bauern und Figuren verbessert werden kann usw.

Dieses Schachwissen führt meist zu guten Vorschlägen in der Analyse. Das ist ein Weg, den die Newcomer erst noch zurücklegen müssen, wenn sie es denn wollen. Für die „Arbeit“ an den eigenen Partien halte ich Fritz daher für besser geeignet.


Als Studiogast bei "Sag' die Wahrheit"

In welche Richtung muss die Weiterentwicklung von Fritz gehen, um sowohl gegen die vorrangig auf Rechentiefe ausgerichteten Programme als auch im Wettkampf gegen die weltbesten Schachspieler erfolgreich zu sein?

Das positionelle Verständnis darf natürlich nicht verloren gehen, sondern muss weiter ausgebaut werden. Es ist ein wichtiger Punkt, der zum ausgewogenen starken Spiel von Fritz beiträgt. Wenn eine Engine etwas weiß, dass die anderen nicht wissen, verbessert das gleichzeitig die Ergebnisse gegen andere Engines. Wir sind diesen Weg in den letzten Jahren mit Fritz gegangen und werden ihn weiter verfolgen.


Matthias Feist in Bilbao: Zahlreiche Autogrammwünsche

In welchen Bereichen sehen Sie am meisten Potential für eine weitere Steigerung der Spielstärke von Fritz, und wie schaffen Sie es überhaupt, die Leistung der Engine immer noch weiter zu verbessern?

Verbesserungen sind in allen Bereichen möglich. Also sowohl im schachlichen „Verständnis“, d.h. der positionellen Bewertung, als auch im taktischen Bereich, also der Suche. Nicht zu vergessen ist natürlich der gesamte Bereich „Planung“, also langfristige Folgen, der das schwierigste überhaupt in einer Engine ist. Ausgangspunkt einer Verbesserung ist in der Regel etwas, das Fritz falsch bewertet oder aus welchem Grund auch immer nicht versteht. Dann erfolgt eine Analyse der Ursachen und darauf Überlegungen wie es zu beheben ist. Schach ist so komplex, dass es in nächster Zukunft immer etwas geben wird, das verbessert werden kann.

Anwender fragen immer wieder nach Dual Core oder 64bit. Was ist das überhaupt? Wie können Anwender davon profitieren (z.B. bei Zap!Chess), und welche Voraussetzungen müssen von Anwenderseite erfüllt sein?


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Dual Core bedeutet nichts anderes als „Zwei Prozessoren“. Gemeint sind hier zwei Prozessoren auf einem Prozessor-Chip. Diese Rechner sind deswegen so interessant, weil sie billiger zu realisieren sind als frühere Dual Prozessor Systeme. Das Ergebnis ist aber praktisch das gleiche. Manchmal kann man sogar in einem älteren Rechner den Prozessor durch einen Dual-Core Prozessor ersetzen und erhält so die doppelte Rechenleistung. Das ist nützlich entweder für Deep-Engines oder man kann zwei verschiedene Engines mit voller Rechnerkraft parallel laufen lassen.

64 Bit bezieht sich auf die Prozessor-Architektur. Dann können 64 Bit gleichzeitig verarbeitet werden. Bis vor kurzem waren 32 Bit die Regel (z.B. beim Pentium 4). 64 Bit sind deswegen für Schach so interessant, weil das Brett 64 Felder hat. Dann kann man sehr gut so genannte „Bitboards“ benutzen. Dabei wird für jedes Feld ein Bit benutzt. Verarbeitet der Rechner nur 32 Bit parallel, muss jedes Bitboard mit zwei Befehlen bearbeitet werden, bei 64 Bit reicht ein Befehl.

Ein Bit kann den Wert 0 oder 1 annehmen. Man benutzt dann mehrere Bitboards, um eine Stellung komplett abzubilden. Eine 0 heißt immer, das Feld ist leer. Es gibt dann Bitboards, die haben eine 1 für jeden weißen Bauern, oder für jeden schwarzen Springer, oder für alle von Weiß angegriffenen Felder usw. Damit kann man viele Fragen durch einfache logische Operationen beantworten. Benutzt eine Engine Programm diese Technik, wird sie auf einem 64-Bit Prozessor schneller. Allerdings ist dieser Vorteil sehr unterschiedlich von Engine zu Engine, da natürlich auch viele andere Sachen gemacht werden. Jedenfalls wird sich die Geschwindigkeit nicht verdoppeln.

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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