Schach und Poker

von ChessBase
01.04.2006 – Immer mehr Schachspieler haben sich in den letzten Jahren dem Poker zugewandt, trainieren im Schach nur noch unregelmäßig oder haben diesem ganz den Rücken gekehrt. Der Deutsche Schachbund, einige weitere Landesverbände und die FIDE haben nun den Ernst der Lage erkannt und wollen sich verstärkt mit dieser Entwicklung auseinandersetzen. Der neue Bundesglücksspielleiter des Deutschen Schachbundes Ralf Drilling stand nach einer gerade beendeten FIDE-Dringlichkeitssitzung in einem Interview Rede und Antwort. Mehr....

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"Meiner Meinung kann das Schach vom Poker nur lernen"
Interview mit Ralf Drilling

ChessBase: Wie erklären Sie sich das Phänomen, dass immer mehr Schachspieler sich dem Poker zuwenden?

Ralf Drilling: Nun, es ist offensichtlich, dass Poker für den fortgeschrittenen Spieler, hier heißt er Winning Player, mehr Verdienstmöglichkeiten bietet als das Schach. Außerdem findet Poker, natürlich nicht auf den Pokerportalen im Internet, unter angenehmeren Bedingungen statt. Poker wird nicht in der Turnhalle in Klein Dinkesbühl gespielt, sondern in den buntern Casinos in Las Vegas, den mondänen Spielbanken Europas oder sogar auf Kreuzfahrtschiffen in der Karibik. Und es gibt noch viele andere Vorzüge.


Mehr Geld

Man hört, dass schon eine Reihe deutsche Spitzenspieler, auch viele im Ausland, nun lieber Poker spielen, als Schach zu trainieren. Das ist doch gerade im Hinblick auf die kommende Olympiade in Turin und dann auch auf die Olympiade im eigenen Land 2008 eine sehr negative Entwicklung.

Ich sehe das überhaupt nicht negativ. Es ist ja nicht so, dass die Spieler jetzt etwa einen Beruf ergriffen hätten und damit für das professionelle Schach ganz verloren wären. Auch beim Poker gibt es ja kein garantiertes Einkommen. Wir müssen nur die Spieler wieder zurück zum Schach bringen, indem wir dort neue Anreize schaffen. Meiner Meinung kann das Schach vom Poker nur lernen und sollte von dort die Vorzüge übernehmen. Tatsächlich wurde bei einer kürzlich einberaumten Dringlichkeitssitzung des FIDE-Präsidiums schon eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die die Aufgabe hat, das Schach radikal zu modernisieren, um es für den Spieler von heute wieder attraktiv zu machen. Ich bin dort auch hinein gewählt worden.

Gibt es dafür schon konkrete Pläne?

Durchaus. Die wichtigste Maßnahme ist die Abschaffung der Wertungszahlen, Elo, DWZ, etc. Im Schach wird im Grunde um die Wertungszahlen gespielt, wir wollen aber jetzt um Geld spielen. Im Moment ist es doch so: Ein Spieler, nehmen wir Kasparov, gewinnt viele Partien und bekommt dadurch eine hohe Wertungszahl. Dann wird er zu Turnieren eingeladen und bekommt dafür Geld. Aber: Wer würde denn noch mit Kasparov eine Partie um Geld spielen. Niemand. Denn jeder kann ja anhand seiner Wertungszahlen sehen, wie gering seine Chancen sind. Anders ist es, wenn es keine Wertungszahlen gibt. Dann kann ein Spieler, wie beim Poker, so tun, als wäre er nur zufällig im Kasino, lässt sich z.B. noch zum Schein die Regeln erklären und zockt dann die anderen ab. Bevor sich das herum gesprochen hat, hat er sein Geld eingesammelt und ist zum nächsten Turnier verschwunden.


Überraschungseffekt ohne verräterische Wertungszahlen

Aber lange wird diese Masche auch nicht funktionieren...?

Schon richtig. früher oder später kennt man die guten Spieler. Aber ohne Wertungszahlen können sie nicht auf die Kommastelle genau ablesen, wie gering die eigenen Chancen sind und dann ganz auf das Spiel verzichten.

Das leuchtet ein. Was ist noch geplant?

Wenn wir durch die Abschaffung der Wertungszahlen endlich eine Grundlage für ein wirklich professionelles Schach geschaffen haben, genügen ein paar kleine Modifikationen im Ablauf des Spiels, um Schach noch etwas spannender und attraktiver zu machen.

Können Sie schon verraten, welche das sein werden.

Zuerst einmal wird in jeder Partie um einen Einsatz gespielt. Nicht wie auf den Open, wo es erst nach einer Woche oder so Geld gibt. Oder bei Rundenturnieren, wo die Spieler nach Erhalt der Antrittsprämie keine Motivation mehr haben. Es muss ständig Geld fließen, damit man weiß, warum man spielt. Und auch bei der Partie selbst können wir uns durchaus am Poker orientieren.

Für alle, die mit dem Poker nicht so vertraut sind, wie soll das aussehen?

Nun, zuerst gibt es bei jeder Partie einen Grundeinsatz, sagen wir 10 Euro. Dann wird über ein Zufallsverfahren die Eröffnung gelost. Die FIDE hat schon mit DGT gesprochen. Technisch ist das gar kein Problem. Eine neue Version der DGT-Uhr liefert einfach vorher die entsprechende Klassifikationsstellung.


DGT: Modell Partyschach (Prototyp)

Alternativ könne wir aber auch Karten mit Eröffnungen ziehen lassen. Hier haben wir auch schon einen Entwurf machen lassen. Der Vorteil der Kartenmethode besteht darin, dass man vielleicht auch vom Poker neue Leute ins Schach zieht, weil Ihnen Karten vertraut vorkommen, während eine Uhr ja für viele eher etwas Abschreckendes hat, weil sie an Regelmäßigkeit und Ordnung erinnert.


Schlechte Karten in der Eröffnung?

Nach der Auslosung müssen sich die beiden Spieler überlegen, wie viel sie auf ihre Stellung setzten wollen. Sagen wir mal, jemand bekommt die Spanische Steinitz-Verteidigung mit Schwarz als Hole, äh Ausgangsstellung. Dann hat er natürlich erstmal schlechte Karten. Aber es hängt auch von ihm ab, ob er vielleicht ein Spezialist für diese Eröffnung ist. Der Gegner könnte übrigens auch d4-Experte sein und weiß noch weniger. Selbstverständlich kann man auch bluffen und so tun, als ob man sich auskennt. Dafür ist es aber notwendig, dass keine Partie mehr von den Spielern irgendwo veröffentlicht wird oder sogar in Datenbanken gespeichert. Das gibt's ja sonst auch nirgendwo.


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So nun wird gesetzt. Weiß macht das erste Gebot. Schwarz kann nun passen, dann ist der Grundeinsatz verloren. Oder er geht mit oder erhöht sogar den Einsatz. Weiß kann dann überlegen, ob er nun passen will oder mitgeht. Natürlich wird kein Bargeld gesetzt, sondern Chips. Hier kann der Turnierveranstalter mitverdienen, indem er die Chips zu einer bestimmten Rate ausgibt.


Die neuen Schach-Chips: 1 Capablanca=50 Euro, 1 Lasker = 100 Euro

Das Bieten und Setzen ist ja beim Poker sowieso eines der spannendsten Vorgänge. Ich verstehe gar nicht, wieso man das nicht schon lange beim Schach auch für die Wertungszahlen eingeführt hat. Es ist doch stinklangweilig, wenn nach den Partien die neuen Wertungszahlen immer wieder auf die gleiche mechanische Art berechnet. Stattdessen hätte man die Spieler selber bestimmten lassen können, wie viel sie bei einer Partien von ihrer Elozahl setzten wollen. 

Stellen Sie sich vor, die entscheidende Partie um die Weltmeisterschaft wird gespielt. Topalov geht gleich aufs Ganze und setzt seine ganze Elozahl. Nun muss Kramnik All-in wählen, um mit seinem an sich aussichtsreichen Dameninder im Spiel zu bleiben. Wer verliert, geht Elomäßig praktisch auf Null und muss seine Karriere neu aufbauen. Da wäre aber Spannung bei den Zuschauern aufgekommen. Aber na gut, diese Chance hat man eben vorüber gehen lassen.

Neue Ideen sind also vor allem das Bieten und die Auslosung der Eröffnung vor der Partie?

Nicht nur. Bestrebungen, die Eröffnung zu losen, gibt es im Schach ja schon lange. Ich sage nur Thematurniere oder Chess960. Geplant ist aber noch eine weitere Neuheit. Alle zehn Zügen werden nämlich wieder Karten gezogen, und zwar Ereigniskarten, solche wie: Weiß oder Schwarz muss den letzten Zug zurück nehmen, die h-Linie wird geräumt. Alle Läufer gehen vom Feld. usw. Nach jedem Karten ziehen wird wieder geboten. Auch hier haben wir schon einen Entwurf machen lassen.


Ereigniskarten

Danke. Das hört sich ja alles sehr spannend an. Was ist denn aber, wenn es am Ende wegen technischen Remis keinen Sieger gibt?

Split Pot. Der Einsatz wird geteilt.

Damit scheint Schach ja nun endlich aus seinem Elfenbeinturm befreit zu sein und wird nun voll gesellschaftsfähig.

Genau: Schach raus aus der Turnhalle und rein in die Kasinos und Spielbanken. Das ist das erklärte Ziel. Damit ziehen wir auch ein völlig anderes Publikum an. Vor allem muss auch diese sterile Atmosphäre auf den Schach-Turnieren nun endlich ein Ende haben. Diese ewige pst, pst, usw. Das ist ja schlimmer als in der Kirche. Wir brauchen eine fröhliche  und ausgelassene Atmosphäre beim Schach. Die Leute wollen doch Spaß haben. Dann sitzt das Geld locker, auch beim Publikum. Dann will auch mal einfach jemand mit einsteigen und sein Glück versuchen. Schach muss einfach insgesamt viel kommunikativer werden.


Lange Schlange bei der der Anmeldung zum First Las Vegas Party Chess Cup (250.000 Dollar Preisfond)


Großmeisterin Tamara Gamblerova hatte in der entscheidenden Partie der B-Gruppe an Tisch Sieben ihr letztes Hemd gesetzt, blieb aber im Spiel.

Mit der WM 1999 in Las Vegas war die FIDE ja schon auf dem richtigen Weg, hat sich dann nur durch ein paar muffelige Kritiker wieder davon abbringen lassen. Jetzt gibt es aber schon einen Vorvertrag mit einem großen Casino dort.


Las Vegas ruft

Die anderen werden sofort nachziehen, wenn sie merken, welches Potenzial hier vorhanden ist. Auch für die Spieler ist das eine neue Erfahrung. Sie werden zu Stars und wie große Pokerspieler gefeiert werden.

Die Top-Winning Player müssen überall Autogramme geben.



Und die Zuschauer sind auch begeistert.

Und auch auf dem Buchmarkt wird es ganz andere Titel geben, die sich viel besser verkaufen, als das bisherige akademische Zeug, das keiner lesen will.



Gibt es angesichts dieser spannenden Reformen schon Gespräche mit möglichen Partnern?

Oh ja. Wir sind, wie gesagt, mit mehreren Kasinos in Verhandlung, nicht nur in Las Vegas; auch Spielbanken in Europa haben schon Interesse signalisiert. Tatsächlich hat es schon einige Testturniere gegeben - mit sehr großem Erfolg. Man muss einfach sagen, dass in den Spielbanken und Kasinos eine ganz andere Atmosphäre herrscht. Hier können sich alle wohl fühlen, Spieler, Zuschauer, usw.


Stilvolle Ambiente


Mehr Kommunikation. Zufriedene Spieler und Zuschauer


Grischuk verdoppelt


Swidler zieht gleich


Mehr Unterstützung durch die Fans


Clubatmosphäre


Mehr Spielspaß für Profis und Amateure

Dann planen wir analog zum Pokern Kreuzfahrten im Mittelmeer oder der Karibik, wo man unter angenehmen Bedingungen spielen kann. Wir haben schon einige Reiseunternehmer angesprochen, die von der Idee begeistert sind.


Schachturnier auf Karibikkreuzfahrten

Das Schach auf den Internetservern wird jetzt als "Party-Schach" ebenfalls mehr an das Poker angelehnt. Sie werden sehen, dass sich im Nu das ganze Image wandeln wird. Natürlich wird sich auch um das Schach herum eine vitale Wettszene bilden, was ja nur in unserem Interesse sein kann. Wir haben da in Berlin einige sehr interessante Kontakte knüpfen können. Hier gibt es schon viel Erfahrung mit dem Wettgeschäft.

Das sind ja atemberaubende Aussichten. Was bedeutet das eigentlich für die Mannschaftskämpfe?

Hier wird jetzt ganz anders gezählt. Egal ob in der Kreisklasse oder Bundesliga. Da wird um die Einsätze gespielt und am Ende zusammen gezählt. Sieger ist, wer in der Bilanz dann vorne steht. Für manchen Vereinsvorsitzenden, Mannschaftskapitän oder Bundesligamäzen kann es ein böses Erwachen geben, wenn seine Truppe am Wochenende 5000 Euro oder mehr Miese gemacht hat. Anderseits: Man kann ja als Mannschaft auch Geld gewinnen. Spieler und Mäzen könnten sich den Gewinn teilen. Das gab's ja bisher auch noch nie, dass ein Bundesligamäzen oder ein Verein mal mit Gewinn von einem Wettkampf zurück kam. Stellen Sie sich vor, die Schachabteilung von Werder Bremen wird Deutscher Meister und kann dann mit dem Gewinn für die Fußballabteilung den Mertesacker kaufen. Das steht man als Schachabteilung doch ganz anders da im Verein. Wenn alles klappt, sind die neuen Regeln übrigens schon ab der nächsten Saison gültig.

Wir danken für das Gespräch.



 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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