Wahrheit und Support

von ChessBase
24.01.2006 – Schach ist bekanntermaßen nicht leicht und ein Studium der Philosophie vielleicht eine gute Vorübung. Wer den Wahrheitsgehalt der restlichen Entitäten der Welt beurteilen kann, wird das wohl auch im Schach schaffen. Tatsächlich haben die beiden besten Spieler der deutschen Schachgeschichte, Dr. Emanuel Lasker und Dr. Robert Hübner, sich ausgezeichnete Kenntnisse der Philosophie erworben. Auch ChessBase-Mitarbeiter Steffen Giehring hat nun promoviert - über Wittgenstein. Ihm lag es sicher weniger daran, seine Schachkarriere voran zu treiben. Stattdessen hat er vermutlich durch die Beschäftigung mit Wittgensteins Wahrheitsverständnis das notwendige heuristische Rüstzeug für seine Aufgaben im Support erwerben wollen. Wer Sätze wie: "Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie - auf ihnen - über sie hinausgestiegen ist. (T 6.54)", oder "Hätte die Welt keine Substanz, so würde, ob ein Satz Sinn hat, davon abhängen, ob ein anderer Satz wahr ist. (T 2.0211)", gedanklich durchdrungen hat, den wird selbst die hermetischste Supportzuschrift kaum aus der Bahn werfen. Wir gratulieren unserem Mitarbeiter ganz herzlich zum Dr.phil.! Entwurf einer Grammatik von wahr und Wahrheit...

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Wittgensteins Wahrheitsverständnis – zugleich Entwurf einer Grammatik von „wahr“ und „Wahrheit“
Von Dr. Steffen Giehring


 

Es gilt geradezu als ein Markenzeichen des frühen wie des späten Wittgenstein, dass seine Philosophie auf einen eigenständigen Erkenntnis- und Wahrheitsanspruch verzichtet. Gegen dieses verbreitete Wittgensteinbilder wendet sich der Autor in erster Linie.

Ihre Grundthese lautet daher, dass Wittgenstein einen vom Kon­zept der Aussagenwahrheit verschiedenen Begriff philosophischer Wahrheit verwendet und zudem für seine eigene Philosophie in Anspruch nimmt.

Historisch betrachtet lässt sich die verbreitete Fehleinschätzung Wittgensteins aus der Identifikation von Wahrheit überhaupt mit propositionaler Wahrheit her verständlich machen. Denn es war nicht zuletzt der Tractatus selbst, der nach Auffassung der Rezipienten eben jene Reduktion von Wahrheitsansprüchen propagierte. Rezeptionsgeschichtlich geriet dadurch der gesamte Wittgenstein in eine von ihm selbst mitinitiierte Gefangenschaft, aus der ihn auch sein Hinweisen auf das Ganze, das Große oder die Wahrheit der Philosophie nicht herauszuhelfen vermochte.

Es geht in diesem Buch daher zunächst um den Versuch, Wittgenstein aus reduktionistischen Rezeptionsmustern zu befreien und das tatsächliche Wahrheitsverständnis in seinen jeweiligen Phasen erkennbar werden zu lassen.

Im Tractatus entwickelt Wittgenstein bekanntermaßen ein reines Abbildmodell von Sprache. Im Rahmen  dessen Modells definiert er die Wahrheit einzelner Sätze wiefolgt: Ein Satz ist wahr, wenn die in ihm zusammengestellten Zeichen mit den Gegenständen des behaupteten Sachverhaltes korrespondieren, und wenn dieser Sachverhalt besteht. Zugleich aber begrenzt er das Gebiet sinnvoller und wahrheitsorientierter Rede auf das der Naturwissenschaften. Die bekannte Konsequenz dieser Grenzziehung besteht darin, dass die Sätze des Tractatus selbst aus dem Bereich sinnvoller Rede herausfallen. Ist damit die Reduktion von Wahrheit auf die einzelner, empirisch prüfbarer Aussagesätze besiegelt? Wittgenstein spricht zum Ende des Tractatus zwar davon, dass seine Sätze Unsinn seien. Aber er sagt auch, dass nur der, der den Tractatus als Ganzes versteht, erkennt, dass sie Unsinn sind und dass diese Erkenntnis das richtige Sehen der Welt mit umfasst. Mehr noch: Im Vorwort hebt er die „Wahrheit“ der Gedanken des Tractatus hervor und bezeichnet sie als „unantastbar“ und „definitiv“. Dieser auf das Ganze des philosophischen Systems gehende Wahrheitsanspruch steht im Tractatus dem Wahrheitsanspruch einzelner empirischer Aussagesätze unvermittelbar gegenüber. Eine Explikation dieses von Wittgenstein in Anspruche genommenen Begriffs philosophischer Wahrheit muss erklären, warum philosophische Wahrheit mit dem Anspruch auf Unantastbarkeit und Endgültigkeit auftreten kann, warum sie das richtige Sehen der Welt mit umfasst und warum das Erkennen dieser Wahrheit mit dem Erkennen ihrer Unsinnigkeit zusammenfällt.  

Da Wittgenstein dieses Verständnis philosophischer Wahrheit nicht erläutert, bemüht sich der Autor um eine Explikation anhand des philosophischen Systems des Tractatus selbst. Er rekonstruiert den Tractatus als Abfolge aufeinander aufbauender transzendentaler Argumentationsschritte. Dabei bildet das „Dass der Sprache“ als Möglichkeit, überhaupt etwas über die Welt aussagen zu können, den apriorischen Ausgangspunkt. Von hier aus leitet Wittgenstein mit Hilfe einer an begrifflichen Bestimmungen orientierten Logik die Bedingungen der Möglichkeit von Sprache überhaupt ab. Am Ende gelangt er so „vom Wesen der Sprache zum Wesen der Welt“, nämlich zur Bestimmung der Welt als Totalität volkommen kontingenter Tatsachen. Philosophische Wahrheit erweist sich in diese Sinne als „unantastbar“ und „definitiv“, als die metaphysischen Konklusionen des Systems durch die Apriorität des Fundamentes und die Methode der Ableitung logisch notwendiger Bedingungen gesichert sind. Warum aber meint Wittgenstein, dass die philosophische Erkenntnis des Tractatus am Ende mit der Erkenntnis seiner Unsinnigkeit zusammenfällt? Dies hängt mit der logischen Struktur der Gesamtargumentation zusammen. Ebenso wie jeder einzelne transzendentale Argumentationsschritte weist auch die Gesamtargumentation die logische Form der Tautologie auf. Daher ist das Verständnis des Ganzen die Voraussetzung für die Erkenntnis des tautologischen Charakters des Systems und damit seiner Unsinnigkeit. Der von Wittgenstein für den Tractatus in Anspruch genommene Begriff philosophischer Wahrheit lässt sich daher wiefolgt explizieren: Ein philosophisches System ist wahr genau dann, wenn es ein auf aprio­rischen Prämissen ruhendes, vollständig logisch deduziertes, mithin tauto­logisches System von Sätzen darstellt, deren Konklusionen Einsichten in das Wesen der Welt zum Ausdruck bringen.  

Der Erkenntnisanspruch des Tractatus ist durch die Kennzeichnung der Argumentationsstruktur als einer formallogischen Tautologie allerdings keineswegs getroffen. Wer auf der Leiter des Tractatus jenen höheren philosophischen Standpunkt erreicht hat, soll die erworbene Sicht der Welt bewahren und sein Leben mit diesem Wissen führen. Philosophische Wahrheit greift somit in die Weise ein, wie wir die Welt, die Dinge und uns selbst sehen und verstehen.

Auch Wittgensteins Spätphilosophie verfolgt am Ende ähnliche Absichten. Doch die philosophische Methode der Spätphilosophie ist der des Tractatus geradezu entgegengesetzt, und Wittgenstein unterzieht hier nicht nur einzelne Auffassungen, sondern seine gesamte frühere Konzeption von Philosophie einer scharfen Kritik. Folglich zeigen sich auch in seinem Verständnis von Wahrheit, sowohl im Hinblick auf die Wahrheit einzelner Sätze als auch im Hinblick auf die Wahrheit der Philosophie, deutliche Veränderungen.

Zunächst einmal weist Wittgenstein Korrespondenztheorien der Wahrheit und damit auch seine Theorie der Satzwahrheit des Tractatus als metaphysische Verirrungen zurück. Diese Theorien erwecken nämlich den Anschein, als könnten wir Sprachliches mit Außersprachlichem vergleichen, als wären uns Tatsachen noch in anderer Form gegeben als in der Sprache. Tatsächlich aber – so lautet Wittgensteins Kritik – kommen wir mit der Sprache nicht aus der Sprache heraus. Wenn wir also eine Übereinstimmung zwischen einem Satz und einer Tatsache konstatieren, so besteht diese Übereinstimmung stets nur innerhalb der Sprache.

Aufgrund dieser Kritik an Korrespondenztheorien haben Wittgnesteininterpreten gefolgert, dass Wittgenstein eine andere, konkurrierende Wahrheitstheorie vertreten haben müsse. Zu Unrecht, denn der späte Wittgenstein war weder Anhänger der Redundanz-, noch der Konsens-, noch der Kohärenztheorie der Wahrheit. Anhaltspunkte für derartige Zuschreibungen finden sich zwar in den Schriften des späten Wittgenstein, aber sie erweisen sich bei genauer Prüfung des Textmaterials durchgängig als nicht haltbar.

Dass dem so ist, darf in Anbetracht des Philosophieverständnisses des späten Wittgenstein nicht überraschen, Denn er selbst wird nie müde zu betonen, keine Form von Theorie aufstellen zu wollen. Als er nach der von ihm favorisierten Wahrheitstheorie befragt wird, verweist er schlichtweg auf verschiedenartige Verwendungsweisen der Ausdrücke „wahr“ und „Wahrheit“. Eben dieses Verweisen auf die Differenziertheit des Sprachgebrauchs ist eine Geste, die geradezu als paradigmatisch für die Methode seiner Spätphilosophie bezeichnet werden kann. So wird die Frage „Was ist Wahrheit ?“ aus methodischen Gründen ersetzt durch die Frage „Wie werden die Ausdrücke „wahr“ und „Wahrheit“ in einzelnen Sprachspielen oder Sprachspielfamilien verwendet ?“

Mit dieser Modifizierung werden zwei für die Philosophie gewichtige Fragerichtungen neu eröffnet: Zum einen ist es die Frage, ob es spezifische Verwendungsbedingungen von „wahr“ und „Wahrheit“ in der alltäglichen Sprachpraxis gibt, die über Verwendungsbedingungen normaler Aussagesätze hinausgehen. Auf diese Frage werde ich zum Abschluss des Vortrages eingehen, wenn es um die Grammatik der Ausdrücke „wahr“ und „Wahrheit“ geht.

Zum anderen ist mit Wittgensteins Verweis auf die Differenziertheit der Verwendungsweisen von „wahr“ und „Wahrheit“ in verschiedenen Sprachspielfamilien die Frage nach dem Sinn der Rede von „Wahrheit“ in der Philosophie selbst eröffnet. Diese Frage überhaupt zu stellen, ist angesichts der Übermacht von Interpreten, die nur eine negative, nämlich philosophische Scheinprobleme oder gar die Philosophie selbst beseitigende Spätphilosophie Wittgensteins kennen, äußerst gewagt. Tatsächlich aber liegt Wittgensteins Spätphilosophie ein durchaus komplexes Philosophieverständnis zugrunde, das positiv auf eine Befreiung und Gesundung des Verstandes ausgerichtet ist.

Der Sinn der Rede von Erkenntnis und Wahrheit in der Philosophie erweist sich dabei als untrennbar mit einem Verständnis philosophischer Probleme und Irrtümer verknüpft. Denn diese sind im Gegensatz zu gewöhnlichen Irrtümern keine bloßen Oberflächenphänomene. Sie bedürfen einer Therapie des Verstandes. Denn um sie auszuräumen, reicht das bloße Sagen der Wahrheit nicht, sondern man muss – wie es bei Wittgenstein heißt -„beim Irrtum ansetzen und ihn in die Wahrheit überführen.“ Philosophische Probleme sind daher nichts von sich aus Negatives. Im Gegenteil, gerade die Zuspitzung philosophischer Probleme und Verwirrung betrachtet Wittgenstein aus therapeutischer Sicht sogar als notwendig. Sie ist notwendig, um die alten und gewöhnlichen Denkgewohnheiten in Frage zu stellen, die für die irreführende Gleichförmigkeit der sprachlichen Formen verantwortlich sind und sich zugleich in ihr artikulieren. Insofern Wittgensteins Spätphilosophie auf eine Überwindung dieser Denkgewohntheiten aus ist, ist sie wesentlich keine Sprachkritik, sondern eine Denkkritik.

Die philosophische Therapie kann aber nur dann gelingen, wenn der philosophische Patient am Ende selbst seine gewohnte Denkweise, die Art und Weise wie er die Dinge sieht, fallen lässt und sich die neue, vom Therapeuten bereitgestellte Betrachtungsweise aneignet. Der „Weg vom Irrtum zur Wahrheit“ bedeutet in der Philosophie daher primär eine gegen die eigene Gewohnheit gerichtete Umstellung der Betrachtungs- und Denkweise.

Wittgenstein bezeichnet diese Umstellung nicht nur als die wesentliche Herausforderung seiner Philosophie. Er verweist auch darauf, dass die grundlegende und nachhaltige Umstellung der Art und Weise, wie wir die Dinge sehen, zugleich Voraussetzung für das Sagen der Wahrheit ist. „Nur der kann sie (die Wahrheit) sagen, der schon in ihr ruht“ heißt es bei ihm. Dieses Sagen der Wahrheit meint die korrekte Beschreibung sprachlicher Praxis. Philosophische Wahrheit ist daher durch zwei durchaus verschiedenartige Aspekte ausgezeichnet. Zum einen gehört zu ihr die richtige Weise der Betrachtung - das was Wittgenstein als „Ruhen in der Wahrheit“ bezeichnet. Und zum anderen gehört dazu die durch die Umstellung der Betrachtungsweise ermöglichte richtige Beschreibung sprachlicher Praxis - das was Wittgenstein als „Sagen der Wahrheit“ bezeichnet. 

Doch obgleich das „Ruhen in der Wahrheit“ als Voraussetzung für das „Sagen der Wahrheit“ auftritt, so ist dies keineswegs ein einseitigen Verhältnis. Denn es sind gerade die korrekten Beschreibungen des Sprachgebrauchs, die ihrerseits die in der Therapie vollzogene Umkehr der Anschauungsweise legitimieren. Denn während die alte Betrach­tungsweise zwangsläufig zu Irrtümern, Ungerechtigkeiten und Paradoxien führt, ermöglicht erst die neue Betrachtungsweise Artikulation und Verständnis grammati­scher Wahrheit. In diesem Sinne steht die erst durch die Umstellung der Betrachtungsweise zur Artikulation gebrachte grammatische Wahrheit ihrerseits für die Richtigkeit der neuen Weise der Betrachtung und Zuwendung ein. Damit finden beide Aspekte, grammatische Wahrheit und Wahrheit der Anschauung, nicht nur in Wittgensteins Ver­ständnis philosophischer Wahrheit Eingang, sondern machen dieses durch ihre wechselseitige Abhängigkeit zu einem komplexen Verständnis.

Damit ist die Rekonstruktion von Wittgensteins Wahrheitsverständnis in seiner Früh- und Spätphilosophie abgeschlossen. Es bleibt nunmehr noch auf den angekündigten Entwurf zur Grammatik von „wahr“ und „Wahrheit“ einzugehen. Dieser Entwurf beansprucht Einiges über die Grammatik von „wahr“ und „Wahrheit“ zusammenzutragen, was der späte Wittgenstein hätte sagen müssen, wenn er sich denn zu diesem Thema geäußert hätte. Zunächst einmal ermöglicht die Methode der Sprachspielbeschreibung eine fundamentale Kritik gängiger sprachanalytischer Praxis hinsichtlich des Begriffs der Satzwahrheit. Diese philosophische Tradition wird nämlich der Tatsache nicht ausreichend gerecht, dass auch die korrekte Verwendung der Ausdrücke „Wahrheit“ und „wahr“ situativen Bedin­gungen unterliegt. Diese situativen Bedingungen regeln nämlich auch, ob ein Satz von der Form eines Erfahrungssatzes tatsächlich ein Erfahrungssatz und damit überhaupt für das Wahrheitsspiel geeignet ist. Über die Tauglichkeit eines Satzes für ein Wahrheitsspiel, entscheidet nicht seine Form allein, sondern auch seine Rolle innerhalb unserer Sprachpraxis. Diese von Wittgenstein her bekannte Kritik verweist darauf, dass die sinn­volle Verwendung der Ausdrücke „wahr“ und „Wahrheit“ in bestimmte situative Bedingungen eingebettet ist. Zur Bestimmung dieser spezifischen Verwendungsbedingungen liegen mit der Prosententialen Theorie bereits Ansätze vor, doch diese beschränken sich darauf, dass mit einer Äußerung des Typs „Das ist wahr.“ in zustimmender Weise auf einen zuvor thematisierten Sachverhalt Bezug genommen wird. Das ist aber bei weitem nicht alles, was zur Grammatik von „wahr“ und „Wahrheit“ zu sagen ist. Tatsächlich setzt die korrekte Verwendung dieser Ausdrücke eine Äußerungssituation voraus, die in der Mehrzahl durch einen Dissens, zumindest aber durch das Ausstehen eines Konsenses unter den Gesprächsteilnehmern charakterisiert ist. Um Wahrheit – so könnte man das in einer grammatischen Bemerkung sagen – wird gestritten. Und insofern es den am Wahrheitsspiel Beteiligten um etwas geht, insofern sie in der Auseinandersetzung ein Interesse an der Wahrheit erkennen lassen, wird verständlich, weshalb Äußerungen des Typs „Es ist wahr, dass...“ oft mit einer besonderen Emphase vorgetragen werden, und weshalb wir den Begriff der Wahrheit als einen wesentlich emphatischen Begriff auffassen können.

Das in diesem Tätigsein zum Ausdruck kommende Interesse an der Wahrheit lässt sich zudem in Zusammenhang zum menschli­chen Streben nach Glück und Wohlergehen bringen, und Wahrheits- und Glücksorientierung dabei als gleichermaßen grundlegende menschliche Orientie­rungen ausweisen. Damit geht dieses Buch weit über das hinaus, was moderne Wahrheitstheorien in der Regel zu leisten versuchen. Jener Zusammenhang von Wahrheit und Glück lässt sich durch eine Analyse des Sprachgebrauchs als grammatisch verbürgt erweisen. Denn wer sich glücklich schätzt, der fällt nicht nur ein Werturteil über die für sein Urteil wesentlichen Lebensumstände, sondern er setzt zugleich die Wahrheit der Sätze voraus, mit denen er eben jene Lebensumstände beschreiben würde. Die Wahrheit jener Sätze ist aber nicht nur im Hinblick auf die Echtheit des Glückes, sondern auch im Hinblick auf dessen Fortbestand relevant.  Insofern der glückliche Mensch am Fortbestehen seines Glückes interessiert ist, lässt sich die Wahrheitsorientierung daher als eine im Rahmen menschlichen Glücksstrebens vernünftige Orientierung auszeichnen. Damit ist freilich weder gesagt, dass die Wahrheitsorientierung ausschließlich in dieser Hinsicht eine vernünftige Orientierung wäre. Noch soll damit einer Instrumentalisierung des Wahrheits­interesses das Wort geredet werden. Tatsächlich birgt der grammatische Zusammenhang von Wahrheit und Glück auch immer ein potentielles Spannungsver­hältnis. Allzu blindes Glück darf durch den Hinweis auf die Wahrheit enttäuscht werden, aber nicht immer hat die Wahrheit das Recht illusionäres Glück zu zerstören. Eine unbedingte Prioritätensetzung für eine dieser beiden Orientierungen erscheint vor dem Hintergrund der Mannigfaltigkeit der Phänomene des Lebens nicht adäquat. Statt dessen sollte dieses potentielle Spannungsverhältnis als geradezu konstitutiv für die menschliche Grundsituation aufgefasst werden.





 
Wittgensteins Wahrheitsverständnis
Zugleich Entwurf einer Grammatik von »wahr« und »Wahrheit« auf der Grundlage der Spätphilosophie Wittgensteins

345 Seiten
ISBN 3-934157-44-0
Buch (broschiert): 32,– Euro
Digitale Ausgabe (PDF): 15,– Euro

 

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