Mutmaßungen über Fischer

von ChessBase
10.08.2004 – Die Verhaftung Fischers in Japan schlägt in der Presse weiter hohe Wellen. Das bekannte japanische Magazin Metropolis von Japan Today veröffentlichte inzwischen in seiner jüngsten Ausgabe eine Titelgeschichte über Fischer, die auch online publiziert wurde. In dem Artikel werden die Umstände berichtet, unter denen es zur Verhaftung Fischers kam. Außerdem erfährt der Leser einiges über die darauf hin  durchgeführten Verhandlungen mit den japanischen Behörden. Mysteriös stellt sich danach die Rolle der US-Behörden dar, die durch einen nur "Peter" genannten Botschafts-Mitarbeiter den Pass einziehen ließen und bisher keine offizielle Stellungsnahme zu dem Fall abgeben ließen, obwohl sie wohl die Verhaftung veranlasst haben. Fischer hatte 1992 mit seinem Wettkampf gegen Spasski in Sveti Stefan ein Handelsembargo unterlaufen und sich in Radio Interviews durch antisemitische Äußerungen und Beifall für den Anschlag auf das World Trade Center hervor getan. Wer wissen will, wie es zur extremen Persönlichkeitsentwicklung bei Fischer kam, muss vermutlich in der Biografie seiner Mutter suchen.Artikel in Metropolis...Mehr...

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Mutmaßungen über Fischer
Von André Schulz

Kein Schachspieler hat so wie Robert James Fischer Presse und Öffentlichkeit gescheut. Über keinen Spieler gibt es so viele Informationen, Bücher und Seiten im Internet. Seit seiner Festnahme auf dem Flughafen von Tokio überschlagen sich zudem die Meldungen und Artikel über den Weltmeister von 1972. Nach dem Titelgewinn war er für zwanzig Jahre verschwunden und tauchte erst 1992 wieder für einen "Revanche"-Wettkampf gegen Boris Spasski in Jugoslawien auf. Weil er damit ein US-Handelsboykott brach, wird er seitdem von den Behörden der USA gesucht. Seine danach in Radio-Interviews veröffentlichten antisemitischen Äußerungen und sein Jubel über den Anschlag auf das World-Trade-Center kamen nicht nur in seiner Heimat nicht gut an. Auf der anderen Seite hat kein anderer Schach im Westen so populär gemacht wie Bobby Fischer. Nach seiner Verhaftung hat sich deshalb ein "Befreit Bobby-Fischer"-Komitee gebildet, dem sich in Deutschland besonders Hans-Walter Schmitt, Organisator der Fischer-Schach ("Chess960")-Turniere in Mainz verpflichtet fühlt.

Fischer wird entweder als egozentrisch oder aber sogar als verrückt beschrieben. Dies war schon der Fall als er noch als Schachprofi tätig war. Als Einzelkämpfer versuchte er sich gegen die Übermacht der Sowjetspieler durchzusetzen. Auf dem Interzonenturnier Stockholm 1962 hatte der 19-jährige (!) Fischer überlegen mit 17,5 aus 22 und 2,5 Punkten Vorsprung gewonnen. Spätestens jetzt war den Sowjet-Großmeister klar, welche Gefahr für sie und den von Ihnen seit 1946 gehüteten Gral, den WM-Titel, ausging. Im folgenden Kandidatenturnier lernte Fischer die Macht der Sowjetspieler kennen. Von den den acht Kandidaten, die in Curaco den Herausforderer ausspielen sollten, waren fünf Spieler aus der Sowjetunion, Petrosian, Geller, Keres, Kortschnoj und Tal. Mit Miroslav Filip stammte ein Spieler aus der Tschechoslowakei, die zum Ostblock gehörte. Nur Pal Benko lebte wie Fischer im Westen. Benkö, in Ungarn aufgewchsen, hatte gegen Ende des Zweiten Weltkrieges bereits sowjetische Arbeitslager kennen gelernt. Später wurde er der Spionage für die CIA verdächtiget, weil er während eines Turniers in der DDR einen Ausflug nach West-Berlin gemacht hatte. 1957 hatte er in schließlich in Reykjavik Asyl beantragt und war in die USA emigriert.

Aus heutiger Sicht scheint klar, dass die ersten drei des Turniers, Petrosian, Geller und Keres ihre Partien allesamt auf Remis abgesprochen hatten. Es wurden fünf Runden jeder gegen jeden gespielt, alle fünfzehn Partien dieser Spieler endeten remis. Spätestens im 21.Zug war das Remis amtlich. Gegen die anderen Teilnehmer, besonders gegen Fischer wurde hingegen verbissen gespielt. Fischer war der Betrug bald klar und nach dem Turnier machte er ihn in einem Interview öffentlich. Kandidatenturniere werden abgeschafft und durch Wettkämpfe ersetzt.

Statt Fischer wird Petrosian Herausforder von Botvinnik, gewinnt klar mit 12,5:9,5 und beendet die Ära Botvinnik, auch weil Letzterem das Privileg eines Revanche-Wettkampfes nicht mehr eingeräumt wurde. Fischer hatte zuvor erklärt, er könne Botvinnik zwei Partien vorgeben und würde einen WM-Kampf immer noch gewinnen. Das klang anmaßend, war aber vermutlich eine völlig korrekte Einschätzung der Kräfteverhältnisse. Nach dem Ränkespiel in Curaco war aber nun Petrosian Weltmeister, auch mit mehr als zwei Punkten Vorsprung. Fischer spielt in den nächsten Jahren US-Meisterschaften, Olympiaden und einige wenige Turniere im Ausland, in Kuba, Jugoslawien, Monaco. An den WM-Zyklen 1964-66 und 1967-69 nimmt Fischer nicht teil. Er fehlt beim Interzonenturnier in Amsterdam 1964. In Sousse 1967 trat er an, diskutierte um die Spielbedingungen, stellte unannehmbare Forderungen, führte zur Halbzeit des Turnieres, verschwand dann vom Turnier, wurde zur Rückkehr überredet, stellte erneut Forderungen und reist schließlich ab. Danach zog er sich vom Schach zurück und schrieb sein denkwürdiges Buch mit 60 kommentierten Partien. Ein Klassiker, dessen Autor nicht den Eindruck macht, er sei größenwahnsinnig oder verrückt.  Allerdings weiß man nicht genau, ob Fischer auch der Autor ist oder nur die Partieanalysen lieferte.

1970 nimmt Fischer, nun 27 Jahre alt, doch noch einen neuen WM-Anlauf, gewinnt das Interzonenturnier in Palma, nachdem Benko auf seinen Platz zu Fischers Gunsten verzichtet hat, und rammt den Rest der Weltspitze ungespitzt in den Boden. Tajmanov und Larsen müssen ein 0:6 verkraften. Petrosian schafft ein 2,5:6,5 und zu Anfang sogar einen Partiesieg, mit dem er eine Serie von 20 Siegen Fischers in Folge beendet. Als Baturinsky später darauf verzichtet, im WM-Kampf in Reykjavik Spasskys Delegationsleiter  zu sein, war klar, wie die Aktien standen. Nach dem WM-Sieg verschwand Fischer.

Was lief schief bei Fischer? Einigen Aufschluss liefern die allerdings spärlichen biografischen Daten aus seiner Kindheit. Danach drängt sich die Ansicht auf, dass Fischers sicher schwierige Kindheit einen bestimmten Entwicklungsprozess seiner Persönlichkeit gefördert hat. Dieser war aber wohl durch seine Mutter genetisch angelegt.

Bobby Fischer wurde am 9. März 1943 um 14.39 Uhr in Chicago im Michael Reese Hospital am Ufer des Michigan Sees geboren. Als Vater gab Regina Fischer in der Geburtsurkunde "Gerhardt Fischer" an. Es gibt Spekulationen darüber, dass der wahre Vater Fischers der ungarische Mathematiker und Ingenieur  Paul Nemenyi (gest. 1952 ?) sein könnte, mit dem Regina Fischer später gut befreundet war. Dessen Sohn Peter Björn Nemenyi (1927-2002) war überzeugt, mit Bobby Fischer blutsverwandt zu sein. (Peter Nemenyi: Persönliche Korrespondenz und Unterlagen 1952-1979 in "Wisconsin Historical Society Archives" ).

Regina Wender wurde in der Schweiz geboren und wuchs in St. Louis auf. Mit 15 erwarb sie die Hochschulreife, danach studierte sie an der Washington Universität. Mit 19 ging sie während der Wirtschaftskrise zu ihrem Bruder Max nach Deutschland, dann nach Moskau. Sie war jüdischer Abstammung, überzeugte Pazifistin und sehr wahrscheinlich auch überzeugte Kommunistin. Von 1933 bis 1938 studierte sie am 1.Moskauer Medizinischen Institut. In Moskau heiratete sie den deutschen Biophysiker Hans-Gerhardt Fischer (geb. 1909 in Berlin). 1938 wird ihre Tochter Joan geboren. Hans Fischer ist zu dieser Zeit in Spanien und kämpft auf der Seite der internationalen Brigaden gegen Franco. 1939 fliehen die Fischers aus Moskau und übersiedeln in die USA. Es ist unklar, ob Hans-Gerhardt Fischer ebenfalls eine Zeit lang in den USA lebte oder gleich nach Chile ging. Bobby Fischer hatte sich als 18-Jähriger in einem Interview so geäußert, dass sein Vater bald nach seiner Geburt die USA verlassen und er keinerlei Erinnerung an ihn habe. Laut Fischer-Biografen Dr. Frank Brady sollen sich Vater und Sohn später einmal in Chile gesehen haben. 1945 wird die Ehe zwischen Hans und Regina Fischer geschieden.

In den USA arbeitete Regina Fischer zunächst als Näherin, dann als Lehrerin und Krankenschwester und erwarb die akademischen Titel einer Bachelor of Arts sowie einer Master of Arts an der Universität von Colorado bzw. der New Yorker Universität. Während Regina arbeitete oder studierte, blieben der kleine Bobby und die fünf Jahre ältere Schwester Joan zu Hause. Paul Nemenyi soll sich bei Sozialarbeitern einmal darüber beschwert werden, wie Regina Fischer ihre Kinder vernachlässige. Auch Regina Fischer hatte selbst Hilfe bei Sozialarbeitern gesucht, als Fischer im Alter von 14 Jahren immer schwieriger wurde. Sie beschrieb ihn "temperamentvoll, unfähig mit anderen klar zu kommen, ohne Interessen, außer am Schach". 1960 war ihre Beziehung zu ihrem Sohn Robert so gespannt, dass sie aus dem gemeinsamen Appartement auszog und ihn dort allein ließ, wo bald alles im Schmutz versank. Fischer betrachte es dennoch Erleichterung, als seine Mutter ihn verließ.

Obwohl sie ihren Sohn gerade verlassen hatte, demonstrierte sie jedoch vor dem weißen Haus dafür, dass die USA eine Mannschaft zur Schacholympiade nach Leipzig schicken sollen, damit ihr Sohn dort spielen konnte.

1961 beteiligte sich Regina Fischer an dem achtmonatigen Friedensmarsch von San Francisco nach Moskau. In dieser Zeit ist laut Reuben Fine, der tiefe Bruch zwischen Bobby Fischer und seiner Mutter entstanden. Selbst als Fischer 1972 Weltmeister wurde, kam sie nicht, um ihm zu gratulieren.

Fischer äußerte sich 1962 in einem Interview mit Harper's über seine Mutter so:


“She and I just don’t see eye to eye together. She’s a square. She keeps telling me that I’m too interested in chess, that I should get friends outside of chess, you can’t make a living from chess, that I should finish high school and all that nonsense. She keeps in my hair and I don’t like people in my hair, you know, so I had to get rid of her …. I don’t have anything to do with her.”

Die Aktivitäten von Regina Fischer wurden vom FBI zwischen 1946 und 1973 aufmerksam beobachtet und in einer 900-seitigen Akte festgehalten. Das FBI hatte sie verdächtigt, eine Spionin zu sein, dafür aber niemals einen Bewes gefunden und die Akte schließlich geschlossen. In der Akte finden sich Beschreibungen von Informanten über Regina Fischers Persönlichkeit. Einer der Informanten bezeichnete sie als "unerträglich". Offenbar lebte sie mit allen Nachbarn im Haus im Streit. Sie wurde als prozesssüchtig beschrieben. Das städtische psychiatrische Institut attestierte ihr eine angegriffene (paranoide) Persönlichkeit, krankhaft streitsüchtig, aber nicht psychotisch" (David Edmonds and John Eidinow: “Bobby Fischer Goes To War”).

In dieser Beschreibung offenbart sich der Grund für die ständig gespannte Beziehung zwischen Mutter und Sohn. Beide waren sich in ihrer Persönlickeit zu ähnlich und offenbar hatte Robert seine extremen psychischen Anlagen bereits von seiner Mutter geerbt.

Schach lernten Robert und Joan Fischer 1949, nachdem sie ein Schachspiel geschenkt bekommen hatten. 1951 wurde Fischer Mitglied im Brooklyn Chess Club, 1955 wechselte er in den Manhattan Chess Club. 1956 besorgte seine Mutter ihm einen Schachlehrer,
John W. Collins. 1958 reiste Fischer, ebenfalls mit Hilfe seiner Mutter, die eine Einladung des Sportkomitee besorgt hatte, nach Moskau und besuchte den Zentralschachklub. Seine Schwester Joan begleitete ihn. Nach Aktenlage wurde Fischer als Ehrengast großzügig empfangen, mit Fahrer und Dolmetscher, lehnte jedoch alle außerschachlichen Einladungen, z.B. ins Bolschoi Theater ab. Er wollte nur Schach gegen Russische GM's spielen und dafür bezahlt werden. Lev Abramov, Schachvorsitzender des Sportkomitees: "Es ist nicht russischer Brauch, Gäste zu bezahlen." Daraufhin pöbelte der 15-jährige Junge im Schachklub herum und nannte die Russen öffentlich "einen Haufen Schweine". Schließlich spielte er Blitzpartien gegen einige junge Spieler, die dort anwesend waren, darunter Vasjukov, und schlug diese vernichtend. Nun wurde Petrosian gerufen, um gegen den jungen US-Amerikaner zu spielen. Sie spielten einen Blitzwettkampf. Das Ergebnis wurde nicht bekannt.

1959 schrieb Regina Fischer einen Brief an die New York Herald Tribune, um Geld für die Schachausbildung ihres Sohnes zu sammeln. Fischer weigerte sich allerdings, auch nur einen Cent von den zusammen gekommenen 3000 Dollar zu nehmen.

Die ersten Antisemitischen Äußerungen machte Fischer 1962 bereits in dem Interview mit Harper's. Schach sei zu sehr mit Juden bevölkert, die armselig gekleidet seine und dem hohen Ansehen des Schachs nicht entsprächen. Auf die Frage, ob er auch Jude sei, antwortete er, zum Teil, seine Mutter sei Jüdin.

1962 übersiedelte Regina Fischer in die DDR und studierte an der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität in Jena (s. Lebenslauf im Anhang zu Regina Pustan: Hb-Reihenuntersuchungen bei Arbeiterinnen in vier Großbetrieben im Kreise Saalfeld, Jena/DDR, 1967) Das Staatsexamen legte sie Dezember 1964 ab; die mündliche Prüfung im Promotionsverfahren folgte am 16. Februar 1968. Während ihrer Zeit in der DDR heiratete Regina ihren zweiten Ehemann Cyril Pustan, einen Gesinnungsgenossen, mit dem sie u.a. anderem in Portugal ein Buch über eine "Kooperativ-Farm für Kaffeebau in Portugal" veröffentlichte, die in Alentejo entstanden war und sich zu einer kommunistischen Hochburg des Widerstands gegen die Salazar-Diktatur entwickelt hatte. Nach Cyril Pustans Tod kehrt Regina Pustan um 1973 zurück in die USA und lebte nun in Kalifornien in Pablo Alto, wo ihre Tochter Joan bereits seit 1962 wohnte. Mitte der Siebziger soll sie in Nicaragua, einem Flüchtlingslager in Honduras und in einem Indianerreservat in den USA gearbeitet haben.

Regina Fischer sprach sieben Sprachen und übersetzte in den Neunzigern noch das Buch von
Luisa Gonzales, einem Autor aus Cista Rica.

Regina Fischer starb 1997 im Alter von 84 Jahren in Pablo Alto. Sie und ihr Sohn Robert hatten sich inzwischen wieder versöhnt. Susan Polgar berichtete, dass Fischer zumindest in den 90ern regelmäßig miteinander telefonierten. Fischer hatte sich eine Zeitlang in Ungarn aufgehalten und hatte dort Kontakt zu den Polgars und zu Peter Leko, der sich aber dazu nicht äußert.

Robert Fischers Schwester Joan Fischer Targ starb im Alter von 60 Jahren am 8.Juni 1998 in Pablo Alto. 



Links:

"Unofficial Bobby Fischer Chess Page" mit zahlreichen Artikeln, Videos und Audios...

Materialien über Fischer...

Gerald Schendel: FBI versus Fischer...

Artikel in Forward...

 

 

 

 


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