90 Jahre Juri Awerbach

von ChessBase
08.02.2012 – Am 8.Februar 1922 in Kaluga als Sohn einer Russin und eines deutschstämmigen Vaters geboren, hat Juri Awerbach den größten Teil des vergangenen Jahrhunderts miterlebt und war an vielen entscheidenden Wendepunkten der Schachgeschichte zunächst als Spieler, dann als Trainer und Funktionär beteiligt: In seinem Buch "Centre-Stage and Behind the Scenes" berichtet er z.B. von den Vorgängen in Curacao 1962 aus seiner Sicht. Im Interview mit Dagobert Kohlmeyer erzählt der einstige "Endspiel-Papst", wie die FIDE 1984-85 beim abgebrochenen ersten Wettkampf Karpow-Kasparow zwischen die verschiedenen sowjetischen Machtblöcke geriet: Auf der einen Seite das Zentralkomitee der KPdSU und der sowjetische Schachpräsident Sewastjanow, auf der anderen Seite der aserische KGB-Chef und spätere Staatspräsident Aserbaidschans Gaidar Aliev. Zum Interview...

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Eine Schachlegende wird 90: „Worüber die Figuren schweigen“
Interview mit Großmeister Juri Awerbach
Von Dagobert Kohlmeyer

Er gehört zu den wenigen noch lebenden Schachlegenden des vorigen Jahrhunderts, und seine Vielseitigkeit ist wohl unübertroffen. Juri Awerbach kann zu seinem 90. Geburtstag am Mittwoch auf ein mehr als erfülltes Leben zurückblicken. Der Großmeister machte sich nicht nur als starker Spieler, sowjetischer Landesmeister, bekannter Trainer, WM-Sekundant, Schachtheoretiker, vor allem als Endspielpapst, einen Namen, sondern auch als Buchautor, internationaler Schiedsrichter bei Weltmeisterschaften und Schacholympiaden sowie als FIDE-Funktionär und Schachhistoriker. Viele Jahrzehnte lang war der Moskauer Chefredakteur der Zeitschrift „Schach in der UdSSR“. 

Wenige Stunden vor seinem Jubiläum sprachen wir mit Juri Awerbach über die verschiedenen Facetten seiner Schach-Tätigkeit. Kaum ein anderer weiß so genau wie er, was sich in den vergangenen Jahrzehnten auf den Brettern des Weltschachs und hinter den Kulissen der Szene abspielte.

    

Juri, Lwowitsch, was ist an Ihrem Ehrentag geplant?

Eine Menge. Die Feiern erstrecken sich über mehrere Tage. Am Mittwoch gibt es in Moskau einen festlichen Abend in der Zentralen wissenschaftlich-technischen Bibliothek, wo ich vor etlichen Jahren ein Schachzentrum gegründet habe. Am Donnerstagnachmittag werde ich im Zentralen Klub vom Russischen Schachverband geehrt, und dort halte ich auch noch einen Vortrag für junge Spieler.

Ein erstaunliches Pensum! Was ist die Idee Ihres Schachzentrums in der Bibliothek?

Wir wollen auch die Veteranen für das Schach gewinnen. Aber sie sollen dort keine harten Turniere mehr spielen, sondern Schachaufgaben lösen. Die Beschäftigung mit Studien beugt der Alzheimer-Krankheit vor. Wenn man über 70 Jahre alt ist, dann kann sich Turnierstress mitunter schädlich auf die Gesundheit auswirken. Es gibt ja drastische Beispiele, dass Schachspieler während des Wettkampfs am Brett sterben, wie kürzlich Waleri Zeschkowski.

Worauf ist das zurückzuführen?

Ich denke, dass die nervliche Belastung beim Schach für die Veteranen nicht zu hoch sein darf. Eine entspannte Betätigung mit dem Spiel jedoch ist bis ins hohe Alter sehr nützlich.

Nur wenige Schachspieler von Rang erreichten bisher ein solches Alter wie Sie – Respekt. Wie haben Sie sich so lange fit gehalten?

Durch eine gesunde Lebensweise und viel Bewegung. Ich habe immer Sport getrieben. Bis vor zwei Jahren bin ich noch regelmäßig in ein Moskauer Hallenbad schwimmen gegangen. Dann haben mir die Ärzte davon abgeraten.

Was hat Ihnen das Schach gegeben?

Sehr viel. Ich habe eine Menge gesehen und erlebt und konnte dabei auch hinter die Kulissen der Schachszene schauen. Die Ereignisse dort waren nicht weniger interessant als auf dem Brett. Darüber habe ich in meinem Buch „Worüber die Figuren schweigen“ geschrieben.

Sie gehen in diesem Buch auch auf den Abbruch des „unendlichen“ WM-Matchs Karpow-Kasparow 1984-85 ein. Wie kam es überhaupt zu dieser Situation?

Karpow hat damals den großen taktischen Fehler gemacht, unbedingt 6:0 gewinnen zu wollen. Obwohl er 5:0 in Führung lag, realisierte er nicht, welche Fortschritte Kasparow während des Matchs als Schachspieler gemacht hat und kassierte deshalb drei Niederlagen. Darum zog sich das Match so lange hin. Wer weiß, wie es geendet hätte, wenn sie noch weiter gespielt hätten.  

Wer aber steckte konkret hinter dem Abbruch, bzw. wer hat aus Ihrer Sicht den damaligen FIDE-Chef Campomanes zu dieser Entscheidung gedrängt?

Ich war neben Gligoric und Mikenas einer der Schiedsrichter des Matchs und habe den großen Druck erlebt, unter dem der FIDE-Präsident stand. Er war praktisch zwischen zwei Fronten geraten. Die eine Seite, das Zentralkomitee der KPdSU, unterstützte ihren Protegé Karpow, auch der sowjetische Schachpräsident Sewastjanow war Karpows Freund. Kasparow bekam dagegen starke Hilfe von Gaidar Alijew, dem Parteichef und späteren Präsidenten Aserbaidschans. Ich denke, mit dem Abbruch konnten am Ende beide leben.

Sie kennen die russische Schachszene seit über 70 Jahren, spielten heimlich Trainingsmatchs mit Michail Botwinnik und sekundierten vielen großen Stars ihres Landes. Welche Erinnerungen haben Sie an den großen Gegenspieler der Sowjets, Bobby Fischer?

Zu ihm hatte ich eine sehr gute Beziehung und versorgte ihn mit Schachliteratur. Fischer verhielt sich zwar oft sehr seltsam, aber mit einigen sowjetischen Schachspielern pflegte er freundschaftliche Kontakte. Darunter auch mit mir. Am Brett sind wir uns nur einmal begegnet. Es war beim Interzonenturnier 1958 in Portoroz. Das Spiel endete remis.

Sie waren ein starker Großmeister, aber auch Trainer, Theoretiker, Buchautor, Schachfunktionär und Schachhistoriker. Welche dieser Tätigkeiten hat Ihnen am meisten Freude bereitet?

Jede war zu ihrer Zeit wichtig. Sehr viel bedeutet es mir, der heutigen Generation die Schachgeschichte nahe zu bringen.

Zum Beispiel in der Berliner Emanuel Lasker Gesellschaft.

Sicher. Ich hoffe, dass mir das Schicksal gnädig ist und ich noch ein paar Jahre lebe, dann wäre ich einer der letzten Zeitzeugen, die Lasker noch persönlich begegnet sind. Viele Schachspieler hatten nicht das Glück, so alt zu werden. Ein großer Teil meiner Generation ist zum Beispiel im Krieg geblieben.

Herr Awerbach, nach Ihnen sind einige Eröffnungssysteme benannt, etwa in der Königsindischen Verteidigung. Und Sie gelten als der Endspielpapst schlechthin. Wie viele Studien haben Sie verfasst?

Ich habe sie nicht gezählt, es sind einige hundert Endspielstellungen und Studien. Meine Endspielbücher wurden in 20 Sprachen übersetzt.

Sie sind sehr oft in Deutschland gewesen, nicht nur bei Veranstaltungen der Lasker-Gesellschaft und bei Treffen der Schachhistoriker. Kommen Sie auch dieses Jahr?

Ja, im Sommer bin ich mal wieder in Dresden, und zwar vom 11.-17. Juni. Ich habe gute Erinnerungen an die Stadt, 1956 gewann ich dort ein internationales Turnier. In Dresden spreche ich zu einem interessanten Thema – unter anderem stelle ich Schachpartien oder Studien als dramatische Werke vor. Jedes spannende Spiel stellt doch im Grunde eine Art Theaterstück dar. Je nachdem, wie eine Partie verläuft, kann sie ein Drama, eine Komödie oder Tragödie sein.

Da ist etwas dran. Welches war Ihre beste Partie und welches Ihre schönste Niederlage?

Es fällt mir schwer, nur eine Gewinnpartie zu nennen, denn ich habe viele Koryphäen besiegt. Darunter waren die Weltmeister Max Euwe, Michail Botwinnik und Tigran Petrosjan sowie der unvergessene David Bronstein. Schön habe ich 1961 in der Moskauer Teammeisterschaft gegen Petrosjan und 1964 in der Moskauer Einzelmeisterschaft gegen den damaligen Fernschachweltmeister Jakow Estrin gewonnen.

 

Die spektakulärste Niederlage kassierte ich gegen Alexander Kotow im Kandidatenturnier 1953

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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