Interview mit Karpov zum Angriff auf den Zentralschachklub

von ChessBase
26.05.2010 – Die Besetzung der Geschäftstelle des russischen Schachverbandes im Moskauer Zentralschachklub durch Männer einer privaten "Sicherheitsfirma" war eines der Gesprächsthemen während des Besuchs von Kasparov und Karpov in Berlin. Der Angriff geschah bereits am vergangenen Mittwoch. Auftraggeber war Arkady Dvorkovich, Vorsitzender des "Aufsichtsrates" des Verbandes. Nachdem die Mehrheit des Aufsichtsrates, 17 von 32 Mitglieder, zuvor Karpov als Kandidaten des russischen Schachverbandes für die FIDE-Wahl nominierten, nahm der Ilyumzhinov-Verbündete die Angelegenheit in seine Hand und regelte sie nach "altrussischem" Brauch. Als nächstes erwartet Anatoly Karpov Einschüchterungen der Delegierten und Schmiergeldzahlungen, wie er in einem Interview mit Novoe Russkoe Slovo erläuterte.Interview (Russ.)...Übersetzung...

ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024 ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024

ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan

Mehr...

Krieg der Sterne um das Schachbrett

Am 19. Mai, als Anatoly Karpov sich in New York befand und unserer Zeitung ein Interview geben wollte, wurde er plötzlich aus Moskau angerufen, weil bewaffnete Leute in das Gebäude des Zentralen Hauses des Schachspielers eingedrungen waren, einen Brief von Arakadij Dvorkovich vorzeigten, dem Assistenten des Präsidenten der Russischen Föderation und als Nebenbeschäftigung Vorsitzender des Beobachtungsrates der Schachföderation Russlands, mit der Forderung die Wachleute auszutauschen. Nach den Worten von Karpovs Assistenten nahmen sie die gesamte Bürotechnik in Beschlag und gingen in die Computer der Mitarbeiter ohne eine gerichtliche Erlaubnis oder andere legitime Rechte dafür vorzuweisen.

- Anatoly, glauben Sie, dass diese Aktion eine Antwort auf Ihre vor kurzem durchgeführten Maßnahmen in New York ist, Mittel und Stimmen zur Unterstützung für Ihre Kandidatur zum FIDE Präsidenten zu sammeln?

- Natürlich. Arkadij Dvorkovich hat schon seit langen die Grenze der Vernunft überschritten. Der Einsatz von bewaffneten Leuten ist allerdings ein sehr ernst zu nehmender Moment. Er hat sich mit einem Brief an alle Schachföderationen der Welt  gerichtet. Wie Lenin, der zur Lenkung der Revolution Post, Telegraf und Telefon besetzt hat, wendet sich Dvorkovich im Namen der russischen Schachföderation an andere Organisationen und erklärt, dass Karpov, Kasparov und Bakh keine Vertreter der  Russischen Föderation sind, dass nur er sie vertritt.

- Das heißt, er hat sich selbst ernannt?

- Ja, sich selbst als einzigen Regenten. Dabei ist folgendes erstaunlich. Er hat einen Brief unterschrieben, in dem gesagt wird, dass der Beschluss des Aufsichtsrates, so wie er in Moskau gefasst wurde, nicht legitim ist, da es angeblich noch keine Registrierung im Justizministerium gibt. Es hätte sich eine vorläufige Versammlung zusammengefunden, die kein Recht hatte, eine Entscheidung zu treffen. Die Registrierung sei noch nicht völlig abgeschlossen gewesen. D.h. im ersten Teil des Briefes behauptet er, dass die Entscheidung des Gerichts nicht legitim sei, dass man sie nicht in Betracht ziehen könne, und im zweiten Teil unterschreibt er selbst als Vorsitzender des Aufsichtsrates, der seiner Meinung  nach gar keine Rechte hat. Übrigens ist der Aufsichtsrat laut Satzung ein beratendes Organ, so dass der Vorsitzende nicht die Macht ergreifen und die Föderation vertreten kann. Niemand hat Dvorkovich solche Vollmachten gegeben.

- Dvorkovich und Schach – Was gibt es da für eine Verbindung?

- Leider haben wir ihn im Februar zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates gewählt. Er ist auf diesem Gebiet neu, aber sein Vater war ein bekannter Schiedsrichter. Er hat viele Jahre in Kasparovs Team gearbeitet. Und er wuchs – sagen wir es mal so – in einer  Atmosphäre großer Abneigung gegen mich auf.

- Aber jetzt ist ihr früherer Gegner Garri Kasparov in Ihrem Team. Wie ist das passiert?

- Kasparov wird als Berater fungieren, er wird keine offizielle Position einnehmen. Wir sehen beide, dass man die Situation des Schachs in der Welt vielfach verbessern könnte. Das Schach ist zur Zeit in Gefahr. Die Rechte der Schachspieler werden nicht eingehalten, der Kalender wird nicht eingehalten, es werden nicht genügend durchdachte Entscheidungen getroffen, es gibt ziemliche viele Mängel.

- Wer ist daran schuld?

- Seit 15 Jahren ist ein- und dieselbe Gruppe an der Macht, und sie hat nicht vor zu gehen. Deshalb ist jetzt dieser Kampf entbrannt. Ich weiß nicht, warum Ilyumzhinov das braucht, was die Schachföderation für ihn bedeutet – vielleicht braucht er sie als Deckung irgendwelcher seiner Angelegenheiten? 

- Dabei steht er an der Spitze einer der ärmsten Republiken Russlands. Woher nimmt er das Geld? Es gibt Leute, die der Meinung sind, dass die FIDE nur noch dank Ilyumzhinov existiert. 

- Das ist ein Mythos. Wir sollten davon ausgehen, dass das olympische Schachdorf von Haushaltsgeld gebaut wurde und nicht von Ilyumzhinovs Geld und dass es mit dem Schachspiel nichts zu tun hat. Es war nie Eigentum der FIDE. Es wird als Gästezentrum genutzt und gehört Kalmückien. Und wenn man die Dokumente anschaut, die die Finanzen betreffen, findet man keine Spuren von Ilyumzhinovs Geld. Die Föderation ist heute sehr arm. Ihr höchstes Jahresbudget betrug 1,5 Mio. Euro. Für einen internationale Sportverband ist das so gut wie kein Geld. Aber Ilyumzhinov erklärt, dass er mehr als 50 Mio. Dollar ausgegeben hat.

- Ist das irgendwie in den Dokumenten über die Finanzen zu sehen?

- Nein, da kann man nichts finden. Um diese 50 Millionen auszugeben, muss man nicht 15, sondern mehr als 25 Jahre lang die Föderation leiten. In den Dokumenten der Föderation finden wir keine Spuren von Ilyumzhinovs Geld. Aber es entsteht der Mythos – für die Welt und für die Föderation – dass er dort quasi seine eigenen Mittel einbringt.

- Es gibt Leute, die glauben, dass Russland keine führende Schachnation mehr ist. Stimmen Sie dem zu?

- Als die Sowjetunion auseinanderbrach, spalteten sich auch Republiken ab, in denen es nicht wenig talentierte Schachspieler gibt. Transkaukasien wurde selbstständig. Dort gibt es Republiken, in denen Schach viel gespielt wird: Georgien, Aserbaidschan. Dort gibt es ziemlich große und starke Schachorganisationen. Georgien zum Beispiel ist für seine Frauen im Schachspiel berühmt.

- Erzählen Sie über Ihr Programm, wie sehen Ihre Pläne aus für den Fall, dass es Ihnen gelingen wird, den FIDE zu leiten?

- Ich denke, dass es jetzt vor allem nötig ist, die Arbeit in der FIDE in Ordnung zu bringen. Die Die Möglichkeiten des Internet wurden völlig außer Acht gelassen. Die allgemeine und massenhafte Verbreitung des Schachspiels befindet sich auf sehr niedrigem Niveau. Wir haben viele Trümpfe, mit denen wir uns an Firmen wenden können. Ich habe kein einziges Mal irgendein Faltblatt von einer internationalen Schachorganisation gesehen, und mit diesem Team, das einen ziemlich lädierten Ruf hat, wollen Firmen einfach nichts zu tun haben.

- Einen lädierten Ruf?

- Anfangs hat Ilyumzhinov versucht, im Westen etwas zu erreichen, aber das ist ihm nicht gelungen. Jetzt macht er irgendwelche geheimen Spazierfahrten. In Russland kann er noch etwas erreichen. Im Ausland kennt man ihn, aber das macht die Sache noch schlimmer.

- Wie wollen Sie Kapital heranziehen?

- Schach hat viele mögliche Sponsoren und Partner. es gibt Millionen von Schachspielern auf der Welt. Im Internet werden an einem Tag mehr als eine Million Partien gespielt. Ich habe nur ein Interesse – das Ansehen des Schachs zu retten. Dvorkovich beginnt Russland in einem idiotischen Licht darzustellen – und das als Berater des Präsidenten! Das, was er macht ist illegal. Außerdem ist es eine gesetzwidrige Aneignung von Macht. Russland geht doch angeblich einen anderen Weg. Davon sprechen sowohl Medvedjev als auch Putin. Wir wollen ein zivilisiertes Land sein, aber wenn sie auf diese Weise handeln, stellt sich die Frage: Wer siegt letztendlich in Russland?

- Wie werden sich, Ihrer Meinung nach, die Ereignisse weiter entwickeln?

- Jetzt wird es, glaube ich, zur Einschüchterung von Delegierten kommen. Eine ähnliche Situation hat es im Jahre 1994 gegeben, aber damals war Russland ein Land von Banditen. Damals war man auf den Straßen nicht sicher.

- Ist Ihre Nominierung durch eine andere Organisation möglich?

- Ich wurde von vier Organisationen nominiert und kann von jeder aus starten.

- Was könnte dem Sieg im Wege stehen?

- Gewaltsame Methoden. Wir sind alle lebendige Menschen. Keiner braucht Probleme oder Drohungen von Seiten der mächtigen Ministerien und Behörden. Es wurden schon Delegierte bedroht, Schmiergelder, Erpressung und Bestechung hat es schon gegeben. Das ist eine Riesenschande. Der Beschluss über meine Wahl als Kandiadten wurde mit 17 von 32 Stimmen gefasst. Es gab eine Livereportage und etwa 100 Leute waren anwesend. Aber irgendwo in einer privaten Wohnung versammeln sich 7 Leute mit Ilyumzhinov und Dvorkovich an der Spitze und entscheiden alles anders. Und erklären, dass ihre Versammlung legitim ist und unsere nicht. Insgesamt werden jetzt Delegierte von 169 Föderationen, die zu dieser Organisation gehören, den FIDE – Präsidenten wählen. Aber ich bin sicher, dass wir gewinnen werden. Hier ist die Meinung der Menschen von Bedeutung. Gäbe es jetzt in Russland kein Internet – es ist ja im Allgemeinen vorhanden – dann würde die Anweisung erfolgen, nichts zu schreiben und nichts im Fernsehen zu zeigen, so wie es im Grunde genommen in alten Zeiten war, als die Anweisung von oben kam. Jetzt gibt es eine Rückkoppelung. Die Menschen können ihre Meinung sagen, sie kommt dort an, wo sie hin soll und zeigt Reaktion. Wenn Hunderte, Tausende und Millionen Befremden und Protest ausdrücken, beginnt es zu wirken.

Novoe Russkoe Slovo, Freitag, 21. Mai 2010-05-24
Das Interview führte Viktoria Belova.

http://www.nrs.com/?p=2433

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

Diskutieren

Regeln für Leserkommentare

 
 

Noch kein Benutzer? Registrieren