Gewinnen lernen 6: Vom Läuferpaar hypnotisiert

von Jan Markos
24.04.2024 – Die Liebe vieler Schachspieler zum Läuferpaar ist stark und oft auch irrational. Das Läuferpaar kann ein Vorteil sein, auch wenn wir - wie in der vorherigen Folge von "Gewinnen lernen" gezeigt - nicht immer wissen, was wir mit den Läufern anfangen können. In diesem Artikel möchte ich zeigen, wie die irrationale Liebe zum Läuferpaar zur Tragödie werden kann, denn der Preis, den viele Spieler bereit sind, für das Läuferpaar zu zahlen, ist oft viel zu hoch.

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Warum ist das so? Nun, wir Menschen lieben Sicherheit. Wenn wir zwei strategische Vorteile vergleichen, neigen wir dazu, das klar Definierte und Eindeutige zu überschätzen und das Vage und Unklare zu unterschätzen. Und der Vorteil des "Läuferpaares" ist sehr klar definiert. Jeder kann ihn erkennen. Deshalb neigen wir dazu, ihn im Vergleich zu weniger klaren Vorteilen wie "Initiative" oder "Zusammenarbeit der Figuren" zu überschätzen.

In diesem Artikel betrachten wir drei Partien, in denen sich die Spieler vom Vorteil des Läuferpaars hypnotisieren ließen und dafür einen hohen Preis zahlen mussten.

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Beginnen wir mit einer typischen Stellung aus dem Nimzo-Inder:

Morovic Fernandes – Adams, Schacholympiade Istanbul 2000, Weiß am Zug.

Die Stellung ist ausgeglichen. Weiß hat das Läuferpaar, aber die schwarzen Leichtfiguren stehen sehr gut und Schwarz ist bereits am Damenflügel aktiv geworden. Das sicherste Vorgehen für Weiß besteht darin, den starken schwarzen Läufer mit 14.Se1 sofort abzutauschen, was zu vollem (und ziemlich langweiligem) Ausgleich führt.

Aber Morovic Fernandes war nicht bereit, sein Läuferpaar so ohne Weiteres herzugeben. Stattdessen begann er ein langes Manöver mit dem Ziel, den schwarzen Läufer von seiner Idealstellung zu vertreiben. Adams war unterdessen allerdings auch nicht untätig und konnte am Damenflügel Initiative entfalten:

14.Lh3?! b5 15.Sd2 axb3 16.axb3 bxc4 17.bxc4 Ta2!

Wie Sie sehen steht Adams seinen Läufern vorurteilsfrei gegenüber. Wenn alle anderen Figuren aktiv stehen, kann man auch ohne sie gewinnen.

In der Diagrammstellung hatte Weiß zum letzten Mal die Chance, die Notbremse zu ziehen. Das nüchterne 18.Sxe4 Sxe4 19.Lg2! führt immer noch zu einer dynamisch ausgeglichenen Stellung, da der schwarze Turm nach 18…Sxc3 19.Dxc3 Txe2 im weißen Lager nicht sicher steht.

Aber Morovic Fernandes hoffte immer noch auf Vorteil durch sein Läuferpaar. Er spielte 18.f3??, um anschließend e2-e4 mit einem schönen Zentrum spielen zu können. Aber Adams hatte natürlich andere Pläne. Er antwortete 18…Lc2! 19.Tde1 c5!, ruinierte so das weiße Zentrum und verwandelte seine Initiative in einen vollen Punkt.

Bitte beachten Sie: Es war Weiß, der vor ein paar Zügen Zeit und Energie investiert hat, um den jetzt nutzlosen Läufer auf h3 vor dem Tausch gegen das Monster auf c2 zu schützen!

Hier ist die ganze Partie:

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Im nächsten Beispiel hatte ein erfahrener GM keine Bedenken, seine Bauernstellung zu ruinieren, da er der Meinung war, das Läuferpaar würde ihm mehr als ausreichende Kompensation geben:

Ftacnik – Roiz, Bundesliga 2008/2009, Weiß am Zug:

Mit seinem letzten Zug 12…Lg4 hat Roiz die Drohung ...Lxf3 aufgestellt, wonach der weiße König nicht mehr sicher steht. Aber Ftacnik hat das nicht gekümmert. Statt die Drohung umsichtig zu parieren, z.B. mit 13.Le2, entschied er sich für das aktive 13.Lf5??, da er der Meinung war, er könnte hier nur gewinnen. Entweder tauscht Schwarz die Läufer, was Weiß einem Endspiel näher bringt, in dem er gegen den isolierten Bauern auf d5 spielen kann, oder Schwarz nimmt auf f3 und gibt Weiß das Läuferpaar.

Aber hier hat Weiß zu eindimensional gedacht. Der Springer auf f3 ist eine wichtige Figur, die wichtige Zentrumsfelder kontrolliert. Außerdem steht der weiße König nach dem Abtausch auf f3 extrem exponiert und die weiße Armee im Zentrum wird ihm nicht zu Hilfe eilen können. Und schauen Sie sich doch bitte auch die schwarzen Springer an: Sie stehen sehr stabil und kontrollieren das Zentrum. Warum sollten sie schlechter sein als die weißen Läufer?

Roiz spielte natürlich 13…Lxf3! und nach ein paar Zügen wurde klar, dass das weiße Läuferpaar nutzlos und die weiße Stellung eine Katastrophe ist:

14.gxf3 0-0 15.Td1 De7 16.Sa4 La7 17.Lh3 Tad8 18.Sb2 d4

Der Auftakt zum Schlussangriff gegen den geschwächten weißen Königsflügel. Bitte beachten Sie, wie untätig die weißen Läufer sind und wie gut die schwarze Kavallerie das Zentrum kontrolliert.

Hier ist die ganze Partie:

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Wenn ich Training gebe, dann greife ich oft auf das folgende Diagramm zurück. Wollen Sie sich auch einmal testen? Nun gut - was würden Sie in dieser Stellung mit Schwarz ziehen?

Timman – Speelman, Bundesliga 2000/2001, Schwarz am Zug:

Viele meiner Schüler entscheiden sich intuitiv für 15…Sf6??, da sie glauben, Weiß müsste sein Läuferpaar schützen und 16.Ld3 spielen. Dann gewinnt Schwarz ein weiteres Tempo mit 16…c4 und kann einigermaßen optimistisch in die Zukunft schauen.

Aber Moment einmal! Befreien wir uns doch von dem Dogmatismus des Läuferpaars! Es gibt noch eine Reihe weiterer wichtiger Aspekte in der Diagrammstellung. Schwarz leidet unter einem gewissen Rückstand in der Entwicklung und er kann nicht rochieren. Deshalb spielt er mit einem Zug wie 15…Sf6??, der nichts für die schwarze Entwicklung tut, schlicht und ergreifend mit Feuer.

Weiß sollte deshalb aktiv antworten. Nach 16.dxc5! schwebt Schwarz in großer Gefahr. Der einzige Zug, der nicht sofort Material verliert, ist 16…bxc5, aber nach 17.Txd6 Dxd6 18.Lf4 Db7 19.Td1!! (Die Drohung ist stärker als die Ausführung! Weiß muss sich nicht damit beeilen, die Qualität zurückzugewinnen.) steht Weiß praktisch auf Gewinn.

Zurück zur Ausgangsstellung. Anstatt dem Läuferpaar nachzujagen sollte sich Schwarz auf die Entwicklung konzentrieren oder das Zentrum abriegeln. Diese Überlegung führt zu drei vernünftig aussehenden Kandidatenzügen: 15…Lb7, 15…La6 and 15…c4. Speelman entschied sich für 15...c4 und kam ein paar Züge später zu Ausgleich, um dann eine schöne Partie zu gewinnen:

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Dieser Artikel (wie auch der vorhergehende) soll Sie natürlich nicht davon überzeugen, dass der Vorteil des Läuferpaars ein nutzloses und überholtes Konzept ist. Das ist er natürlich nicht. Im Allgemeinen ist es ein Vorteil, das Läuferpaar zu haben. Aber ich wollte zeigen, dass es viele Feinheiten und Ausnahmen gibt, die man bedenken sollte, sich das Läuferpaar zu sichern.

Die generellen und eindeutigen Regeln zu lernen is einfach. Die kennt jeder. Doch wenn Sie sich von der Mehrzahl der Vereinsspieler absetzen wollen, dann müssen Sie die Feinheiten und Ausnahmen kennen, die mit diesen Regeln verknüpft sind.

Es gibt Situationen, in denen man sich an die Regeln halten muss. Und es gibt Situationen, in denen man sie brechen muss. Dogmatismus führt selten zum Erfolg.

Im Gespräch: Jan Markos

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Jan Markos ist ein slowakischer Schachautor, Trainer und Großmeister. Sein Buch "Under the Surface" wurde 2018 vom Englischen Schachverband zum Buch des Jahres gewählt. Sein neuestes Buch, "The Secret Ingredient", das er zusammen mit David Navara geschrieben hat, konzentriert sich auf die praktischen Aspekte des Schachs, z.B. Zeitmanagement am Brett oder Vorbereitung auf einen bestimmten Gegner. Markos war vor zwanzig Jahren U16-Europameister und jetzt verhilft er seinen Schülern aus mehreren Ländern zu ähnlichen Erfolgen. Neben Schachbüchern hat er auch Bücher über kritisches Denken, moralische Dilemmata und Phänomenologie geschrieben.
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